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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Weitmayr
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durch die darin liegende Akte blätterte. Zog ich den Effekt ab, den ein feistes Äußeres auf die Einschätzung der gelebten Anzahl der Jahre hat, konnte ich davon ausgehen, dass der Finanzbeamte ungefähr so alt war wie ich. Das stimmte mich zuversichtlich. Mit Menschen der gleichen Generation spricht es sich in der Regel leichter. Dachte ich damals. Während ich solchen, wie sich später herausstellen sollte, vollkommen unnützen Gedanken nachhing, fand der Rauch der Zigarette, die Fleischer zwischen Ring- und Mittelfinger seiner rechten Hand hielt, den Weg in meine Nase. Ich schielte auf das Päckchen Kent, das neben dem Aschenbecher stand, holte meine eigenen Zigaretten hervor und suchte in meiner Sakkotasche nach Streichhölzern. 
    “ Das ist ein Nichtraucherbüro.” 
    Widerspruchslos steckte ich die Packung wieder ein.  
    Eine Weile geschah nichts. Ab und zu zog Herr Fleischer an seiner Kent, schüttelte dann und wann leicht den Kopf, bis er mir plötzlich direkt in die Augen sah.  
    “ Das sieht nicht gut aus. Gar nicht gut.” 
    “ Was eigentlich? Ich weiß bis jetzt nicht, worum es geht.” Das war in gewisser Weise gelogen. Denn die Erwähnung der Sightseeing-Tickets am Telefon war Hinweis genug. Natürlich hatte ich diese Einkünfte nicht versteuert. Aber das hatte ich acht Jahre lang nicht getan und es hatte niemanden gestört. Wieso es jetzt plötzlich Schwierigkeiten gab, war mir ein Rätsel. 
    Herr Fleischer ließ die Akte sanft zugleiten, zog noch einmal an seiner Zigarette und sah mich durch den aufsteigenden Dunst an.   
    “ Aber Herr Alexander, Sie wissen doch ganz genau, worum es geht.” 
    “ Sie erwähnten etwas von Tickets”. Es war besser, sich nicht aus der Reserve locken zu lassen. Zu unklar war, was die Behörde tatsächlich gegen mich in der Hand hatte.  
    Herr Fleischer ließ mich keine Sekunde aus den Augen. Ich wiederum versuchte, seinem forschenden Blick so gut wie möglich standzuhalten. Dann, unvermittelt, drückte der Beamte entschlossen seine Zigarette aus, schlug die Akte wieder auf und las vor: “Schwerer steuerlicher Betrug über den Zeitraum von fünf Jahren in Form von Hinterziehung der Umsatz- und Einkommenssteuer. Zu ahnden mit einem Bußgeld über 50.000 Schilling und einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Die inklusive Verzugszinsen und Vergebührung entstehende Gesamtschuld von 61.373 Schilling, 47 Groschen ist unverzüglich, längstens bis Ende des Monats zu entrichten. Außerdem wird eine unbedingte Haftstrafe über zwei Jahre verhängt.”  
    Herr Fleischer klappte die Akte zu, zündete sich eine neue Kent an, inhalierte einmal tief.  
    “ Sie müssen wissen”, sagte er nicht unfreundlich, “die Kollegen von der Finanz verstehen wirklich keinen Spaß, wenn es um die Umsatzsteuer geht.” Er beugte sich vor. “Dummerweise haben Sie diese in Form der Vorsteuer eingesackt, ohne sie dann wieder abzuführen. Damit bestehlen sie die Finanz direkt.” Er lehnte sich wieder zurück. “Und irgendwie nehmen die das dann persönlich.”Ich spürte, wie meine Hände zu zittern begannen. Ich  fischte nach meinem Päckchen „Milde Sorte”, fand diesmal auch gleich die Streichhölzer. Erst als ich den ersten Zug getan hatte, fiel es mir ein.  
    “ Entschuldigung. Ich hatte vergessen. Nichtraucherbüro.”  
    Ich beugte mich vor, um die Zigarette im schweren, überfüllten Aschenbecher auszudrücken. Herr Fleischer winkte jovial ab. “Lassen Sie nur. Wir wollen einmal eine Ausnahme machen.  
    “ Danke”, murmelte ich und zog noch einmal nervös an meiner Milden. 
    So saßen wir beide, einige Momente, jeder von uns seinen eigenen Gedanken nachhängend, bis mir plötzlich etwas einfiel.  
    “ Sie sagten: 'Die Kollegen von der Finanz.'” 
    Herr Fleischer strahlte mich an. “Aber natürlich sagte ich das.”  
     
     
    ***
     
     
    Eine halbe Stunde später wieder im Freien, überquerte ich ohne weitere Umstände die Straße und betrat den gegenüberliegenden Feinkostladen. In Wahrung einer alten Wiener Tradition waren auch hier, direkt bei der Kasse die Regale mit den Schnapsfläschchen, Inhalt 2,0 cl,  angebracht. Ich nahm drei heraus, kippte sie vor der keine Miene verziehenden Verkäuferin der Reihe nach hinunter und steckte nach kurzer Überlegung drei weitere in die Manteltasche. 
    “ Ich bin der Spion, der aus der Kälte kam.” 
    “ Macht neunundzwanzigvierundneunzig.”

1967
     
     
    “Papierführungsseile.” 
    “ Verzeihen

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