Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
ich es sehen wollte. Ich wollte in diesem Moment sehen, wie es ist, wenn jemand stirbt.“
Der unbeteiligte Beobachter wäre in diesem Moment zurückgewichen.
Erschrocken.
Angewidert.
Dann, vielleicht, wäre er an diesen herangetreten, hätte ihm die Waffe aus der Hand genommen und ihn dann widerwillig, aber doch, schließlich war er kein Killer, eigenhändig erschossen.
***
Alexanders Vorsatz lautet jedoch, das selbst zu erledigen.
Es ist genug, er will nicht mehr.
Er hat niemanden mehr.
Was so natürlich nicht ganz stimmt.
Vielleicht seine Frau.
Wenn sie ihm denn jemals wieder vertrauen kann.
Doch dazu müsste er zuerst auf sich selbst zählen können.
Er blickt auf den toten Freund zu seinen Füßen.
Fragt sich: „Prodz“.
Versucht, die Tränen zurückzudrängen.
„ Ich wollte Dich erschießen. Aber ich hätte Dich nicht erschossen. Meinen Freund. Meinen einzigen Freund. Warum bist Du gesprungen, warum konntest Du meinen Wahnsinn nicht abklingen lassen?“
Er geht zu einem der Fenster, zieht die Jalousie hoch, betrachtet sich in der dunklen Fläche der Scheibe und erkennt, warum sein Freund nicht mehr an den Verstand Alexanders geglaubt hatte.
Es ist nichts mehr zu erkennen.
Keine Menschlichkeit mehr.
Nichts.
Eine Maske. Eine Hülle.
Etwas, das sich über sein Gesicht gestülpt hat, wie damals im Gefängnis. Etwas ganz Ähnliches, das ihn überleben hat lassen.
Und als er an sie denkt, da spürt er sie wieder, tief in seinem Inneren, auf ihre Chance zur Wiedergeburt lauernd.
Von plötzlicher Panik erfüllt reißt er die Pistole hoch, drückt die Mündung gegen seine Schläfe, nicht um die offene Rechnung mit einem toten Grenzbeamten zu begleichen, nein, so weit kann er nicht denken, zu groß die Furcht vor der Verwandlung.
Und dann, genau in diesem Moment, als er bereit ist, sich um seiner selbst Willen auszulöschen, spürt er es: Einen Klumpen, der sich in seinem Inneren ausbreitete, ihn erfüllt, nur um aus ihm herauszutreten und sich als dünne, undurchdringliche Hülle über seine Haut zu legen.
***
„Leg sie weg“, flüstert sie irgendwo in seinem Kopf
Alexander zögert, der Lauf der Pistole bleibt gegen seine rechte Schläfe gedrückt.
„ Leg sie weg“, flüstert die Hülle.
Alexander gehorcht.
„ Gut. Und jetzt lehn Dich zurück“
Alexander gehorcht.
„ Gut. Jetzt schließ die Augen. Nur für einen Moment. Entspann Dich und überlass alles Weitere mir. Denk an Deine Frau, Deine Kinder, all das Geld, Dein Leben. Unser Leben. Denk daran, wie ich Dir helfen werde, Deinen Nebenbuhler auszuschalten, dieses Schwein, das im Bett Deiner Frau liegt, auf der Seite, die Dir zusteht. Ein Unfall vielleicht? Keine Sorge, uns fällt schon etwas ein. Es ist nicht schwierig. Wir haben Schlimmeres überstanden.
Denk an all die Jahre.
Unsere Jahre.
Vor uns.
Lass Dich gehen.
Denk an Dich.
Vergiss, was war.
Vergiss mich.
Ich bleibe.
Vergiss mich.
Ich bleibe.
Vergiss, dass es mich gab, vergiss, dass es mich gibt.
Ich bleibe.
Zieh Dich zurück.
Überlass Dich mir.
Du wirst sehen, gleich wird es Dir leichter.
Lächle.
Schließ die Augen.
Gleich ist es gut.“
***
Und Alexander lächelt.
Und Alexander schließt die Augen.
- ENDE -
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