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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Weitmayr
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Spitznamen ursprünglich verdankte, zog schon seit Jahren keine Blicke mehr auf sich. An der Bar wechselte ich zweihundert Schilling in Kleingeld, mein Weißer Spritzer wurde mir ohne nachzufragen gleich dazu gestellt. Dann zurück zum Einarmigen Banditen, der neben der Türe stand. Ich warf die vierzig Fünfer auf ein Mal ein. Schon das Fallen der Münzen hatte eine beruhigende Wirkung auf mich. Als ich den Hebel an der rechten Seite des Apparats zum ersten Mal hinunterdrückte und die Gewinnsymbole vor meinen Augen zu einem Mahlstrom aus Kirschen, Pflaumen und Melonen verschwammen, spürte ich, wie der Druck der vergangenen Stunden langsam von mir abfiel. Ziehen, rollen, ziehen, rollen ... diese Erleichterung würde zwar nur zweihundert Schilling lang halten. Das Gefühl war trotzdem jeden einzelnen Groschen wert. 
     
     
    ***
     
     
    “Scheiße, Scheiße”, fluchte ich, acht Stunden später in Herrn Dvorschaks Hotelzimmer vor mich hin, während ich eine Wanze an der Unterseite des Biedermeyer-Sekretärs anbrachte. Dann machte ich Fotos von den Zeitungen, die auf dem Couchtisch lagen (keine Prawda, dafür Die Presse und Le Monde), sowie dem Inhalt des unter dem Bett verstauten Reisekoffers (Feinripp, schwarze Socken). Hemden und Ersatzanzug hingen im Schrank. Zehn Minuten später verließ ich das Zimmer, ging aufs WC, übergab mich kurz aber ausgiebig, wischte meine Achselhöhlen trocken und kippte Schnapsfläschchen vier bis sechs hinunter. 
     
     
    ***
     
     
    “Wann bekomme ich den Bescheid?” 
    Ich saß wieder im Finanzamt, Herr Fleischer, mir vis-à-vis, studierte die Abzüge, die ich ihm gebracht hatte.   
    “ Und überhaupt, wieso lassen Sie die Fotos nicht selbst entwickeln? Die Stapo wird doch wohl ein Labor haben?” 
    Mein Führungsoffizier blickte hoch. “Also das mit dem Bescheid ...”  
    “ Ja?” 
    “ Also, das wird so nichts.” 
    “ Wie bitte?” 
    “ Das wird so nichts.” 
    Ich beugte mich entrüstet vor und fuchtelte mit einem wütenden Zeigefinger vor einem bemerkenswert gelassenen Agentengesicht herum. “Was heißt hier: 'Das wird so nichts?' Sie haben versprochen, mir einen Bescheid zu besorgen, der meine Steuerschulden für null und nichtig erklärt, sobald ich Dvorschak ausspioniert habe!”  
    “ Genau, genau.” 
    “ Ja und?” 
    “ Aber das haben sie nicht getan.” Er schob den Haufen Fotos zu mir zurück. “Da ist kein einziger Beweis, nicht einmal ein Indiz dafür, dass Herr Dvorschak ein Spion der CSSR ist.” 
    “ Ich habe alles abfotografiert, so wie Sie es verlangt haben. Wenn da nicht mehr ist, ist da nicht mehr!” 
    “ Aber Herr Alexander...” Fleischer lehnte sich zurück, um in seiner Seitentasche nach seinen Zigaretten zu fischen. Als er sie gefunden hatte, tippte er das weiche Päckchen aus dem Handgelenk heraus an der Tischplatte an und streckte mir die einzeln hervorlugende Kent entgegen. Gedankenlos griff ich nach ihr, ließ sie mir auch noch anzünden. “... schauen Sie, ich würde Ihnen ja wahnsinnig gerne die Amnestie verschaffen! Glauben Sie mir, nichts würde ich lieber tun. Um eine solche zu bekommen, muss ich jedoch zuerst einen herausragenden Dienst Ihrerseits zu Gunsten der Republik vorweisen können. Aber mit diesen Fotos für's Familienalbum ...” mit einer vagen Handbewegung Richtung Lichtbilder ließ er den Rest des Satzes in der Luft hängen. 
    Ich sackte in meinem Sessel zusammen. “Und wie soll es jetzt weiter gehen?”  
    Fleischer schenkte mir ein Lächeln, das er wahrscheinlich für einnehmend hielt, während er die dreizehn Haare, die in der Mitte seines Schädels wuchsen, vorsichtig zurück strich. “Wie es weiter gehen soll? Gar nicht viel anders als bisher. Mit dem einen Unterschied: Wann immer Herr Dvorschak bei Ihnen im Hotel eincheckt, rufen Sie mich an.” Dann, nach eine kurzen Pause: “Die Kamera dürfen Sie in der Zwischenzeit behalten.”

Wie wir waren
     
     
    1968. Was für ein Jahr! Nicht, dass ich mit allem einverstanden gewesen wäre, was da so geschah und geredet wurde. Aber eines musste man den Studenten lassen: Sie brachten frischen Wind in die Bude. Alles wurde gefordert. Alles wurde versprochen. Dass am Ende wenig von dem gehalten wurde, was gefordert und versprochen worden war, konnte ich damals nicht ahnen. Und vielleicht hätte es mich auch gar nicht gestört. Denn der Kampf für die Zukunft war die Essenz der Gegenwart und damit an sich schon von Sinn erfüllt, egal wo er

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