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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Weitmayr
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Sie, aber ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.” 
    “ Papierführungsseile”, hatte Herr Dvorschak mir am Abend zuvor erzählt. “Das sind hochtechnisierte Stränge, an denen Meische, aus der später Papier wird, durch die Papiermühle gezogen wird. Die vertreibe ich in ganz Europa.” 
    Handlungsreisender also.   
    Laut   Fleischer aber nicht nur das, sondern auch Agent. Und zwar für einen der aktivsten in Österreich – dem tschechischen Nachrichtendienst. Zumindest vermutete die Staatspolizei, bei der Fleischer Führungsoffizier war, genau das. Festnageln hatten sie ihn noch nie können. Das, obwohl er seit 1959 in Verdacht stand, für die CSSR zu spionieren. Was er genau  tat, wusste man nicht. Aufklärung, Desinformation, Infiltration – alles schien möglich. Womit Dvorschak von Fleischer in die Kategorie der gefährlichst möglichen Spione eingeordnet wurde. Denn jemand, dem man nach derart langer Observation, noch immer nichts nachweisen konnte, musste, so der Stapo-Offizier, schlicht brillant und ebenso gefährlich sein. 
    “ Oder unschuldig”, hatte ich eingeworfen, was von Fleischer jedoch geflissentlich überhört wurde. 
    Also hatte die Staatspolizei nach Jahren der Frustration beschlossen, von allen Menschen ausgerechnet mich zu “rekrutieren”, wie es mein zukünftiger Führungsoffizier formulierte.  
    “ Herr Dvorschak wurde in der Tschechoslowakei geboren“, erklärte Fleischer weiter. Angeblich in Sudetendeutschland und wurde ebenso angeblich nach dem Krieg, wie tausende andere, aus seinem Haus vertrieben und lebt jetzt als braver Handlungsreisender für Papierführungsseile in Wien.” 
    “ Aber das glauben Sie nicht.” 
    Das tat Herr Fleischer tatsächlich nicht. Er glaubte, die Kommunisten hätten meinen Stammgast im Fahrwasser der Flüchtlingsströme über die Grenze geschleust – aber eben nicht als Vertreter, sondern als Agent.   
    “ Sie wissen sicher, dass Wien die Spionagehauptstadt der Welt ist, Herr Alexander.” 
    Nein, das hatte ich nicht gewusst. Aber ich lernte jeden Tag gerne dazu, wie ich Herrn Fleischer versicherte. Auch meinen Einwand, dass ich in Dvorschaks Sprache keinen Hauch von Akzent vernommen hätte, wischte der der Stapo-Mann vom Tisch. “Ich sage nur Prag. Ich sage nur Kafka.” Er deutete meinen vakanten Gesichtsausdruck richtig. “Sie wissen schon: Das schönste Deutsch der Welt spricht man in Prag.”  
    “ Sprach man in Prag. Soviel ich weiß, ist das ein Monarchie-Klischee.” 
    “ Die Monarchie ist kein Klischee!”, fuhr mich Fleischer an. 
    Ich hob beschwichtigend die Hände. “Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten.”  
    Der feiste Fleischer sah mich prüfend durch seine zusammengekniffenen Augenschlitze an, zog heftig an seiner Zigarette, stieß den Rauch wie ein wütender, den Deutschen Heldensagen entsprungener Drache aus, nur um mich von einer Sekunde auf die andere wieder freundlich anzulächeln.   
    “ Aber natürlich wollten Sie das nicht. Es wäre ja auch dumm, jemandem zu nahe zu treten, der Sie für zwei Jahre ins Gefängnis bringen und auf sein Leben hinaus wirtschaftlich ruinieren kann.” 
    Ich nickte stumm – und tatsächlich voll tief empfundener Zustimmung.  
     
     
    ***
     
     
    Die drei Schnapsfläschchen klimperten beruhigend in meiner Manteltasche. Der Novembernieselregen wurde wie ein Schwamm von meinem Haar aufgesogen. Ich bereute es in dieser Sekunde, keinen Hut zu tragen. Vielleicht sollte ich dazu übergehen. Immerhin trugen die Agenten in den einschlägigen Kinofilmen immer eine Kopfbedeckung. “Richtiges Spionagewetter. Hervorragend.”, dachte ich bei mir, während ich, den Kopf eingezogen, die Straße hinunterging. Vielleicht war Wien deshalb die Spionagehauptstadt der Welt. Wegen der Zeit von Oktober bis April. Alle zogen wir die Köpfe ein, sahen nicht links, nicht rechts, trachteten nur danach, möglichst schnell in die nächste Bar zu kommen.  
    Ich war da ganz anders. Ich verfügte über Loyalitäten, und ging deshalb nicht in irgendein Lokal, sondern in mein Stammbeisl.  
     
     
    ***
     
     
    “Herr Doktor, grüssie”, schallte es mir aus acht verschiedenen Richtungen entgegen. Um die Form zu wahren, grummelte ich etwas in die Richtung von “Habt's mich gern”, musste mir aber, wie immer, ein Schmunzeln verkneifen. Ich hängte den Mantel vorsichtig auf den Kleiderständer beim Eingang. Mein Dienstanzug, den ich darunter trug und dem ich meinen

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