Der Hühnerführer: Roman (German Edition)
Abend tanzen und wurde auch noch dafür bezahlt.
Dass sich das ein wenig nach Gigolo anhört, war mir damals nicht bewusst. Ich wusste nur, dass dieser Herr Dvorschak plötzlich mit seinen abgetragenen Schuhen und dem nichtssagenden Anzug in meinem Hotel stand, offensichtlich das Trinkgeld für den Lohndiener sparen wollte und von mir erwartete, dass ich ihm sein Zimmer zeigte.
Beim Gedanken an die Führung durch die Räumlichkeiten schauderte mir: Wegen des unvermeidlichen kindlichen Staunens, das sich bei ihm ob der Pracht des Zimmers einstellen würde, seines eingeschüchterten Einziehens der Schultern, sobald er in der Mitte des Salons stehen würde, des unbeholfenen Kramens nach einem fünfzig Groschen Stück, das er mir gönnerhaft, mit verschwörerischem Blick, zustecken würde und für das ich mich auch noch bedanken würde müssen.
Doch ich hatte vor, mich dieser Peinlichkeit mit Anstand zu entziehen. Hatte er seine paar Groschen wider Erwarten parat, würde ich mit einem zurückhaltenden aber höflichen “vielen Dank, das ist wirklich nicht notwendig”, das Zimmer verlassen. Würde er die Münzen erst suchen müssen, würde ich mich mit einem ebenso höflichen “ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt” entfernen und uns beiden eine unangenehme Szene ersparen.
Überraschenderweise stellte sich keine dieser Situationen ein.
Ich öffnete uns die Türe zum Apartment, ließ Herrn Dvorschak den Vortritt, den dieser, plötzlich viel souveräner als eben noch in der Lobby, mit einem freundlichen “Danke” annahm. Forschen Schrittes betrat er das Zimmer und ließ den Koffer auf sein Bett fallen. In gebührlichem aber keineswegs schüchternem Abstand folgte er mir dann zu Bad und WC, ließ sich die Mini Bar erklären und zeigte sich auch kaum vom gewaltigen Fernseher mit 61 Zentimeter Bildschirmdiagonale, um den eine Sitzlandschaft aus dunkelbraunem Kalbsleder arrangiert war, beeindruckt.
Meine Frage, ob er noch irgendetwas wissen wolle oder wünsche, verneinte er. Vollends verblüfft ob des plötzlichen Persönlichkeitswandels war ich, als die Schlüsselübergabe damit endete, dass ich einen zweifach gefalteten 50-Schilling-Schein in Händen hielt.
Ein kleines Vermögen.
Ich bedankte mich beflissen, versicherte Herrn Dvorschak, dass das Haus und ich persönlich alles Menschenmögliche zu unternehmen gedachten, um ihm jeden Wunsch von den Augen abzulesen und fand mich schließlich am Gang wieder, wo ich den Schein leicht kippte und gegen das Licht einer Stehlampe hielt.
Wie wir waren
Ein Kubaner namens Fidel Castro und ein Argentinier, der auf den Namen Che hörte, fachten unsere Phantasie an. Ein junger Nordamerikaner irischer Abstammung, den wir nur bei seinen Initialen, JFK, nennen würden, gewann die Präsidentenwahl der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Kubaner und der Ire waren Feinde, obwohl beide für etwas Neues standen. Wir verstanden das nicht, wir würden es auch später nicht verstehen. Später würden wir jedoch um einen der beiden – nicht unbedingt den Besseren - weinen, weil wir mit ihm und unter seiner Flagge einen Teil unserer Träume begruben. Aber vielleicht weinten wir auch nur, weil er so schön war, weil seine Frau so schön war, als sie dastand und trauerte.
Blickten wir hingegen nach Osten, gab es für uns keinen Jubel, keine Trauer. Es gab nur ein Gefühl: Angst. Die hatten wir auch vor dem Mann mit dem Schuh, der so leutselig wirkte, aber Raketenstationen auf die Insel des Fidel und des Ché schickte. Raketen, die uns alle beinahe in den Untergang rissen - egal, ob wir nun einen Kontinent und einen Ozean von diesem Eiland entfernt lebten, oder nicht.
Wir ahnten nicht, wie schnell wir diese Furcht vergessen würden und das größte Friedensprojekt unserer Geschichte in unserem Kleinkrieg um Förderquoten und Vetorechte zu einer lächerlichen, kleingeistigen Verteilungszentrale von Privilegien, Pfründen und Redundanzen zerreden würden.
Ich jedenfalls freute mich darüber, dass der sympathische, junge Senator die US-Präsidentschaftswahlen gewonnen hatte – besonders überrascht war ich aber nicht, hatte die Gegenpartei doch einen Kandidaten aufgestellt, der einfach nicht dazu geschaffen war, Präsident einer Supermacht zu werden. Unmittelbar, nachdem dieser schwitzende, nuschelnde Konservative seine, davon war ich überzeugt, erste und letzte Chance auf das Amt verloren hatte, hatte ich
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