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Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Der Hühnerführer: Roman (German Edition)

Titel: Der Hühnerführer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Weitmayr
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Gedanken zu ordnen.  
    „ Es ist nur … gibt es etwas … kennen sie das ...?“ 
    Dvorschak drehte eine Hühnerkeule um, das Fett auf dem Grillrost zischte.  
    „ ... Schuld? Also, das Gefühl, etwa getan zu haben? Etwas, das nicht wieder gut zu machen ist?“ 
    Fleischer drückte eine Hühnerbrust fest auf den Rost. „Natürlich kenne ich das. Wie könnte ich nicht? Jeder hat seine Geister, seine Dämonen. Aber Sie sollten sich davon nicht einholen lassen. Es war nicht Ihre Schuld. Es war Fleischers Plan, der Ihrer Familie so viel Leid gebracht hat. Nicht Ihrer. Machen Sie sich keine Vorwürfe.“  
    In diesem Moment hätte Alexander seinem Freund beinahe alles erzählt. Alles von seiner tatsächlichen Schuld, seiner Tat. Doch anstatt seine Beichte abzulegen, ließ er seinen Blick den Baum hinauf schweifen, sah, dass die ersten Blätter an ihren Rändern bereits einen bräunlichen Farbton angenommen hatten.   
    „ Kommt es nur mir so vor, oder werden die Sommer immer kürzer?“ 
    Dvorschak wendete die Flügel. „Kann sein, aber das muss man ja nicht unbedingt mitmachen.“  
    „ Fliegen Sie wieder nach Kuba?“ 
    „ Wir waren schon lange nicht mehr dort.“ 
    „ Ich fürchte, ich kann dieses Jahr nicht.“ 
    Dvorschak blickte vom Grill hoch, nahm einen Schluck von seinem eigenen Bier, spuckte es ins Gras. „Warm!“ Er öffnete die Kühltruhe, holte eine neue Flasche hervor. „Wieso nicht? Familie?“  
    „ Nein. Kein Geld. Ich bin schon die Hälfte meines Urlaubsgeldes durch und seit Sie in Pension sind, sind die Nebengeschäfte auch etwas mager geworden.“ 
    Dvorschak lachte laut auf. Es war eine Konversation, die sie schon öfter geführt hatten. In Wirklichkeit wussten beide, worauf sie hinauslaufen würde. „Sie und ich gehören wahrscheinlich zu den tausend reichsten Menschen in Österreich! Und dann erzählen Sie mir von Ihrem Urlaubsgeld?“  
    „ Sie wissen, dass das Geld auf drei Treuhandkonten liegt.“ 
    Dvorschak winkte ab. „... geschenkt. Dann kommen Sie so mit.“  
    „ Das kann ich nicht annehmen.“ 
    „ Wieso? Flugzeug und Villa gehören ohnehin mir, die Kosten sind die selben, egal ob sie mitkommen, oder nicht. Und wenn Sie Skrupel haben, zahlen Sie eben die Drinks.“ 
    Alexander überlegt kurz. „Ich zahle die Drinks?“  
    „ Wenn es Sie glücklich macht.“ 
    Alexander nickte. „Außerdem trifft es ja keinen Armen.“  
    Dvorschak reckte seine Flasche gen Himmel. „Sie sagen es.“  
    „ Vorher will ich aber noch etwas erledigen.“ 
    „ Ach, was denn? Etwas Interessantes?“ 
    „ Wahrscheinlich nicht. Ich erzähle es Ihnen, wenn wir auf Kuba sind.“ 
    „ Auf Kuba!“ 
    „ Auf Kuba.“ 
     
     
    ***
     
     
    Er hatte die Grenze nur zu Zeiten des Eisernen Vorhanges gekannt. Ein bedrohlicher, willkürlicher Ort war sie damals gewesen. Die Grenzbeamten, korrupt, winkten Wagen nach Belieben heraus, nahmen sie auseinander, hielten Reisende für Stunden fest, schickten sie wieder zurück.  
    Zigaretten, Alkohol oder Kaffee waren Währungen, die man besser in größeren Mengen bei sich hatte.  
    Sechs Jahre später war alles anders.   
    Die Autos wurden durchgewunken, die Grenzbeamten, zuvor die erste Verteidigungslinie gegen alle Übel des Kapitalismus, lächelten freundlich, stempelten bereitwillig amerikanische Pässe von amerikanischen Touristen ab, die diese wiederum als Souvenir und Trophäe nach Hause brachten, wo sie sie ihren staunenden Nachbarn aus Idaho zeigten: Wir waren dort, in der Höhle des Löwen, im Reich des Bösen und es ist immer noch unheimlich.   
    Womit sie nicht unrecht hatten. Wir, die wir vor dem Jahr 1989 ab und zu nach Prag gefahren waren, um uns am Glockenspiel des Rathausturmes zu erfreuen, konnten uns noch an die Kalashnikows erinnern, die uns diese Männer in Uniform ins Auto gehalten hatten. Aus Männern, die vierundzwanzig Stunden zuvor noch ihren eigenen Landsleuten nachgeschossen hatten, waren pittoreske Fremdenführer geworden, die bereitwillig über die Fahrtzeit zur Hauptstadt und die besten Rastmöglichkeiten auf dem Weg dorthin Auskunft gaben.   
    Die Frage, die man nicht aus seinem Hinterkopf bekam: Wie schnell würden sie wieder schießen, sobald man ihnen dazu die Order gab?   
    Was würde aus diesem Lächeln werden? Ein Fletschen?   
    Oder würde es im Gesicht eingeätzt bleiben, während der Abzug der AK 47 durchgezogen wurde? Wenn die Kugeln den Rücken des Flüchtlings zerfetzten?

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