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Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Titel: Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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etwas Maß halten.
    Allan besichtigte die verschlossene Kühlkammer und stellte fest, dass sie eine ausgezeichnete Zelle für ihren Häftling abgab, ohne unnötigen Luxus. Die Größe von zwei auf drei Meter war vielleicht mehr, als der junge Mann verdiente, aber es gab ja auch keinen Grund, einen Menschen unnötig zu quälen.
    Die beiden Alten schleiften den jungen Mann also in seine Zelle. Als sie ihn auf eine umgedrehte Kiste in der Ecke setzten und ihn mit dem Oberkörper an die Wand lehnten, stöhnte er leise. Offensichtlich erwachte er gerade wieder. Also nichts wie raus und die Tür ordentlich abschließen.
    Gesagt, getan. Danach hievte Julius den Koffer auf den Küchentisch, musterte die Schlösser, leckte die Gabel ab, mit der er soeben Elchbraten mit Kartoffeln gegessen hatte, und brach in Sekundenschnelle das Schloss auf. Anschließend forderte er Allan auf, den Koffer selbst zu öffnen, denn immerhin war es ja sein Diebesgut.
    »Was mir gehört, gehört auch dir«, erklärte Allan. »Mit der Beute machen wir halbe-halbe. Wenn da allerdings ein Paar Schuhe in meiner Größe drin sein sollte, nehm ich die.«
    Er hob den Deckel.
    »Das gibt’s doch nicht!«, rief Allan.
    »Das gibt’s doch nicht!«, rief Julius.
    »Lasst mich raus!«, tönte es aus dem Kühlraum.

4. KAPITEL
1905–1929
    Allan Emmanuel Karlsson wurde am 2. Mai 1905 geboren. Tags zuvor war seine Mutter noch zur Maidemonstration in Flen gegangen, um sich für das Frauenwahlrecht, den Acht-Stunden-Arbeitstag und andere utopische Ideen starkzumachen. Die Demonstration bewirkte auf jeden Fall, dass die Wehen einsetzten, und kurz nach Mitternacht gebar sie ihren ersten und einzigen Sohn. Das geschah in einer kleinen Kate in Yxhult, mit Hilfe der alten Nachbarin, die zwar kein besonderes Talent zur Hebamme hatte, jedoch ein gewisses Ansehen genoss, weil sie sich als Neunjährige einmal vor Karl XIV. Johann hatte verbeugen dürfen, welcher wiederum ein guter Freund (na ja!) von Napoleon Bonaparte gewesen war. Zur Verteidigung der Nachbarin muss außerdem gesagt werden, dass das Kind der Frau, der sie bei der Entbindung half, das Erwachsenenalter erreichte, und ein recht stolzes Alter noch dazu.
    Allan Karlssons Vater war ein ebenso fürsorglicher wie zorniger Mann. Fürsorglich gegenüber seiner Familie, zornig auf die Gesellschaft im Allgemeinen und auf alle, die man irgendwie als ihre Repräsentanten betrachten konnte. Außerdem war er bei den feineren Herrschaften nicht wohlangesehen, nicht zuletzt deswegen, weil er sich einmal in Flen auf den Marktplatz gestellt und für Verhütungsmittel geworben hatte. Dafür wurde er mit einem Bußgeld von zehn Kronen belegt, und er musste sich mit diesem Thema nie mehr persönlich auseinandersetzen, weil ihm Allans Mutter ab da nämlich vor lauter Scham jeglichen Zutritt verwehrte. Damals war ihr Sohn sieben und damit alt genug, seine Mutter um eine genauere Erklärung zu bitten, warum das Bett des Vaters plötzlich im Holzschuppen neben der Küche stand. Doch die Antwort lautete nur, wenn er sich keine Ohrfeige einfangen wolle, solle er nicht so viele Fragen stellen. Da Allan, wie die Kinder aller Generationen vor und nach ihm, wenig Lust auf eine Ohrfeige verspürte, ließ er die Sache also auf sich beruhen.
    Ab diesem Tage tauchte Allans Vater jedoch immer seltener im eigenen Zuhause auf. Tagsüber verrichtete er leidlich seine Arbeit bei der Eisenbahn, abends diskutierte er auf allen möglichen Versammlungen über den Sozialismus. Nur wo er seine Nächte verbrachte, wurde Allan nie so ganz klar.
    Seine wirtschaftliche Verantwortung trug der Vater aber weiterhin. Den Großteil seines Lohns lieferte er allwöchentlich bei seiner Frau ab, bis er eines Tages gefeuert wurde, weil er gegen einen Reisenden gewalttätig geworden war, der auf dem Weg nach Stockholm war, um mit Tausenden anderer Bürger dem König seine Bereitschaft zur Landesverteidigung zu demonstrieren.
    »Dann verteidige dich doch erst mal hiergegen«, sagte Allans Vater und beförderte den Mann mit einer rechten Geraden in den nächsten Graben.
    Nach seiner fristlosen Kündigung konnte Allans Vater die Familie nicht mehr ernähren. Da es ihm gelungen war, sich einen Ruf als Gewalttäter und Verhütungsmittelbefürworter einzuhandeln, hatte es gar keinen Zweck mehr, dass er sich um eine andere Arbeit bewarb. Er konnte nur noch auf die Revolution warten oder diese beschleunigen, denn die Dinge entwickelten sich ja immer so schrecklich

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