0595 - Der Werwolf-Dämon
Jean Bouix fröstelte. Er wagte kaum zu atmen.
Es ist nicht wahr, ich bilde mir das nur ein, dachte er. Dieser Wald… es liegt an dem Wald!
Er hatte diesen Wald noch nie gemocht. Schon als Kind hatte er ihn gefürchtet, den Wald mit seinen riesigen, knorrigen Bäumen. In seiner Fantasie hatte er sie mit bösen, vieltausendarmigen Riesen verglichen, die nur darauf warteten, die Menschen in eine Falle zu locken.
Er hatte auch Bilder gemalt, die Menschen in den Fängen dieser Bäume zeigten, umwuchert und stranguliert von den garstigen Ästen, zu Skeletten verdorrt und mit schwarzen, leeren Augenhöhlen die Welt anklagend für das, was sie mit diesem Wald geschaffen hatte.
Später, als er heranwuchs, war die Angst etwas gewichen, aber die Abneigung steckte immer noch tief in Jean. Ginge es nach ihm, man hätte den ganzen Wald roden und ein Fußballfeld daraus machen können. Oder eine Autobahn. Besser, eine ganze Stadt.
Damit hier niemals wieder etwas wachsen konnte, das auch nur eine entfernte Ähnlichkeit hatte mit einem dieser bizarren, schwarzen Bäume.
Aber manchmal mußte er diesen Wald durchqueren.
So wie in dieser Nacht.
Mit seiner Freundin Dominique Pascout hatte er eine kleine Party mit Gleichaltrigen im Nachbarort besucht, aber Jean war wenig begeistert gewesen, als auch Alexander deGault aufkreuzte - ›Alexander der Große‹, wie er sich gern nennen ließ.
Von Anfang an hatte Jean deh Verdacht, daß Dominique nur wegen Alexander zu der Party gewollt und ihn selbst mehr oder weniger als Anstandsbegleiter mitgeschleppt hatte. Es war ein offenes Geheimnis, daß sie schon seit längerem ein Auge auf Alexander geworfen hatte.
Aber jedesmal, wenn Jean sie darauf ansprach, wehrte sie ab. Da sei nichts, er solle sich nicht so anstellen, wenn sie mal ein paar Worte mit einem anderen Mann wechselte.
Doch es war mehr als nur Geplänkel, dessen war sich Jean sicher. Ihre Stimme bekam immer einen ganz bestimmten Tonfall, wenn sie mit Alexander sprach.
Diesen Tonfall kannte Jean nur zu gut. Dominique konnte sich ihm gegenüber nicht verstellen.
Verdammt, was fand sie nur an diesem hirnlosen Muskelprotz?
Alexander der Große machte seinem Namen alle Ehre. Er war groß und breit gebaut, war jede Woche zweimal in Rouen im Fitneßstudio, und er lief auch stets in den neuesten und teuersten Klamotten herum. Es gab nichts, was er nicht kannte und nicht konnte.
Er fuhr einen schnellen Sportwagen, um den ihn selbst die älteren Jungs beneideten. Wovon er lebte, wußte niemand so genau, und er selbst redete nicht darüber.
Aber er besaß immer eine gutgefüllte Brieftasche und ein ganzes Faltetui voller Kreditkarten. Wenn er lächelte oder nur mit den Fingern schnippte, dann lagen ihm die Mädchen in den Armen.
Und mit Sicherheit bald darauf auch im Bett.
Von wegen Emanzipation. Dieser verdammte Macho kriegte sie alle rum!
Auch bei Dominique war es nur noch eine Frage der Zeit gewesen…
Und heute schien die Zeit reif zu sein.
Jean fragte sich, warum die anderen Jungs sich nicht zusammentaten und diesen Casanova mal ordentlich zurechtstutzten. Schließlich nahm er ihnen doch auch die Mädchen weg.
Aber offenbar kamen sie damit wesentlich besser zurecht als Jean Bouix. Der liebte seine Dominique nämlich wirklich. Und deshalb schaffte er es auch nicht, ihr einfach den Laufpaß zu geben.
Statt dessen grämte er sich immer wieder darüber, daß sie diesem ›Mister Universum‹ nachschwärmte, der nichts anderes tat, als sie auffordernd anzugrinsen.
Jean selbst tat alles für Dominique. Er las ihr jeden Wunsch von den Augen ab, er war immer da, wenn sie ihn brauchte. Er war da, wenn sie Probleme hatte, um mit ihr darüber zu reden, und wenn es sonst irgend etwas gab, was er für sie tun konnte, dann tat er es auch.
Aber dankte sie es ihm?
Nein.
Sie nahm mehr, als sie zu geben gewillt war.
Trotzdem liebte Jean sie. Er kam einfach nicht von ihr los…
Die Party war mit der Zeit richtig wild geworden, die Stimmung hob sich im Laufe der Stunden, es wurde gelacht, getanzt, und es wurde auch eine Menge getrunken.
Einige der Partygäste sprachen auch dem Alkohol mehr zu, als für sie gut war. Und Dominique gehörte zu ihnen, denn plötzlich lag sie, ziemlich beschwipst, in Alexanders Arm und… küßte ihn!
Zornig stellte Jean die beiden zur Rede.
»Nun hab dich nicht so«, rief Alexander und grinste ölig. »Es ist doch schließlich Dominiques Entscheidung. Sie ist eine erwachsene Frau, oder? Auf jeden
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