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Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand

Titel: Der Hundertjaehrige der aus dem Fenster stieg und verschwand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Jonasson
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seiner »lieben Frau«, die nur wütend wurde und meinte, der verdammte Dummkopf hätte wenigstens ein richtiges Ei schicken können, damit die Familie sich satt essen konnte. Sie war schon drauf und dran, das Ei zum Fenster hinauszuwerfen, bevor sie sich eines Besseren besann. Großhändler Gustavsson könnte ja vielleicht etwas dafür hinblättern, der wollte doch immer etwas Besonderes sein, fand sie, und besonders selten war dieses Ei ja auch.
    Man stelle sich die Verwunderung von Allans Mutter vor, als Großhändler Gustavsson ihr nach zweitägigem Überlegen achtzehn Kronen für Fabbes Ei bot. Und die bekam sie auch nicht in bar, sie wurden ihr nur von ihren Schulden abgezogen. Aber immerhin etwas.
    Danach hoffte die Mutter auf weitere Eier, aber stattdessen erfuhr sie in dem folgenden Brief, dass die Generäle des Zaren ihren Autokraten verraten hatten und er abdanken musste. In seinem Brief verfluchte Allans Vater seinen Eier produzierenden Freund, der prompt in die Schweiz geflohen war. Er selbst wollte selbstverständlich bleiben und gegen diesen Emporkömmling und Clown kämpfen, der jetzt an die Macht gekommen war, ein Mann namens Lenin.
    Für Allans Vater nahm das Ganze überdies eine persönliche Dimension an, da Lenin jegliches Privateigentum verboten hatte – genau einen Tag nachdem Allans Vater zwölf Quadratmeter erworben hatte, auf denen er schwedische Erdbeeren anbauen wollte. »Der Boden hat zwar nur vier Rubel gekostet, aber mein Erdbeerfeld verstaatlicht man mir nicht ungestraft!«, schrieb Allans Vater in seinem allerletzten Brief in die Heimat. Und er schloss mit den Worten: »Jetzt ist Krieg!«
    Ja, Krieg war zweifellos. So gut wie überall auf der Welt, und das schon seit ein paar Jahren. Er war ausgebrochen, kurz nachdem der kleine Allan seine Stelle als Laufbursche bei der Nitroglycerinfabrik bekommen hatte. Während der Junge die Dynamitkartons auf die Wägen lud, lauschte er den Kommentaren der Arbeiter zum Weltgeschehen. Er fragte sich immer, woher sie das alles wussten, aber vor allem wunderte er sich, wie viel Elend erwachsene Männer so anrichten konnten. Österreich erklärte Serbien den Krieg. Deutschland erklärte Russland den Krieg. Dann nahm Deutschland innerhalb eines Nachmittags Luxemburg ein, um anschließend Frankreich den Krieg zu erklären. Daraufhin erklärte Großbritannien Deutschland den Krieg, und die Deutschen reagierten, indem sie Belgien den Krieg erklärten. Da erklärte Österreich Russland den Krieg und Serbien Deutschland.
    So ging es seitdem ununterbrochen. Die Japaner mischten sich auch noch ein, und die Amerikaner ebenfalls. Die Briten nahmen aus irgendeinem Grund Bagdad ein und dann Jerusalem. Die Griechen und die Bulgaren begannen sich ebenfalls zu bekriegen, und dann musste der russische Zar abdanken, während die Araber Damaskus eroberten …
    »Jetzt ist Krieg«, hatte der Vater geschrieben. Wenig später ließ einer von Lenins Handlangern Zar Nikolaj und seine ganze Familie hinrichten. Allan stellte fest, dass das Pech des Zaren wohl doch angehalten hatte.
    Noch ein paar Wochen später schickte die schwedische Botschaft in Petrograd ein Telegramm nach Yxhult und teilte mit, dass Allans Vater tot war. Eigentlich war es nicht Sache des zuständigen Beamten, die Angelegenheit weiter auszuführen, aber vielleicht konnte er es sich einfach nicht verkneifen.
    Nach seinen Angaben hatte Allans Vater ein Grundstück von zehn bis fünfzehn Quadratmetern eingezäunt und es zur unabhängigen Republik erklärt. Er hatte seinen Staat »Das richtige Russland« getauft und war bei dem Handgemenge gestorben, das entstand, als zwei Regierungssoldaten seinen Zaun einreißen wollten. Allans Vater hatte die Grenzen seines Landes mit bloßen Fäusten verteidigt und wollte partout nicht mit sich reden lassen. Schließlich wusste man sich keinen anderen Rat, als ihm eine Kugel zwischen die Augen zu verpassen, damit man den Abrissauftrag ausführen konnte.
    »Hättest du dir nicht eine etwas weniger dämliche Todesart aussuchen können?«, meinte Allans Mutter zu diesem Botschaftstelegramm.
    Sie hatte nie damit gerechnet, dass ihr Mann noch einmal heimkehren würde, aber in letzter Zeit hatte sie doch wieder darauf gehofft, weil sie es mit der Lunge hatte und nicht mehr den rechten Schwung zum Holzhacken aufbrachte. Doch nun stieß sie nur einen rasselnden Seufzer aus, und damit war das Kapitel Trauer für sie erledigt. Sie teilte Allan mit, dass die Dinge nun einmal waren,

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