Der Hundertjaehrige Krieg
brachte.
Bis heute besteht in der Forschung keine Einigkeit über die Frage, ob die hohen Kosten der englischen Invasionen durch die Erfolge auf dem Kontinent refinanziert worden sind, durch Kriegsbeute, Lösegelder, Einkünfte aus französischen Grundherrschaften, Zölle, Zahlungen der Krone Frankreichs bei erzwungenen Waffenstillständen und anderes mehr. Im besonderenFall mögen einzelne Kommandeure, Verwalter und Geschäftsleute das erreicht haben, doch für den englischen Staatshaushalt erwies sich der Krieg letztlich als Nachteil. Die französische Wirtschaft hingegen erfuhr durch ihn neue Impulse und Anstöße zur Modernisierung. So führte der Bedarf an Edelmetall für das Münzgeld und an Erz für Waffen und Rüstungen zur gesteigerten Prospektion auf Bodenschätze, deren Ausbeutung von Gesellschaften betrieben wurde, in die man Geld einlegen konnte, um am Gewinn teilzuhaben, ohne sich selbst mit dem Betrieb der Bergwerke befassen zu müssen. Zum ersten Mal traten Kapital und Arbeit in nennenswertem Umfang auseinander.
Selbst aus der zunächst schmerzhaft erlebten Lockerung altüberlieferter Verhältnisse und Strukturen ergaben sich zukunftweisende Elemente: eine deutlich gesteigerte soziale Mobilität, neuartige Durchlässigkeit der Standesschranken, Wanderungen von Region zu Region und intensiverer Austausch zwischen Stadt und Land. Während England nach der Niederlage seiner Armeen in Frankreich für dreißig Jahre von den Rosenkriegen zwischen den Häusern Lancaster und York heimgesucht und politisch destabilisiert wurde, ging die französische Monarchie gestärkt aus der großen Krise hervor. Gewiß wird man nicht mit Heraklit behaupten dürfen, daß der Krieg der Vater aller Dinge sei, aber er ist doch mindestens der Pate des neuzeitlichen europäischen Staates gewesen. Dessen wesentliche Merkmale – Gewaltmonopol und Wehrhoheit, effiziente Verwaltung und ertragssicheres Steuersystem – sind während des Hundertjährigen Krieges langsam entwickelt worden, und die außergewöhnliche Dauer des stets um dasselbe Problem kreisenden Konflikts läßt Ursprung und frühe Genese dieser Modernisierung Westeuropas ziemlich gut erkennen und verfolgen.
Beide Seiten waren von Anfang bis zum Ende davon überzeugt, einen gerechten Krieg zu führen, ein
bellum iustum
im Sinne Augustins, der einen legitimen Kriegsgrund und als Kriegsziel die möglichst rasche Wiederherstellung des Friedens gefordert hatte, dazu die Sicherung von Ordnung und Gerechtigkeit. Diese frühe Definition ist später in die Kanonistik eingegangen, durch Thomas von Aquin weiter ausformuliert und imSpätmittelalter angesichts der mächtigen Realität der westeuropäischen Monarchien dahingehend interpretiert worden, daß jedes souveräne Gemeinwesen einen gerechten Krieg führen dürfe. Hier gab es breiten Raum für die propagandistische Darstellung der eigenen Sache als der guten und richtigen, zumal die Autorität der Kirche als prüfender und beurteilender Instanz seit 1378 durch das Schisma geschwächt war. Die Könige und ihre Höfe gewannen dadurch größere Handlungsspielräume, weil England und Frankreich dem von der jeweils anderen Seite anerkannten Papst die Rechtmäßigkeit bestritten.
Durch den seit 1328 erhobenen Anspruch der englischen Könige auf den französischen Thron war der Hundertjährige Krieg von vornherein weit mehr als die feudale Auseinandersetzung zwischen Lehnsherr und Lehnsmann um den englischen Kontinentalbesitz. Es handelte sich vielmehr um einen dynastischen Konflikt, der das Königtum der Valois grundsätzlich in Frage stellte und zu vernichten drohte. Deshalb führte der englische Hof nicht nur Krieg, sondern warb in Frankreich mit einigem Erfolg um Unterstützer und Verbündete. Das Attentat auf Herzog Ludwig von Orléans (1407) und die Ermordung Johanns Ohnefurcht von Burgund (1419) eröffneten dem Haus Lancaster reale Aussicht auf eine nachhaltige Spaltung Frankreichs, und der Vertrag von Troyes (1420) ließ die Doppelmonarchie Wirklichkeit werden, bekräftigt durch die Ehe Heinrichs V. mit Katharina von Valois. Damit hätte der Krieg beendet sein können, wenn sich um den französischen Thronfolger, den späteren Karl VII., nicht so starke Widerstandskräfte versammelt hätten, daß der Herzog von Burgund sich schließlich von seinem englischen Bundesgenossen trennte. Nun konnte Karl VII. den Krieg bis zur vollständigen Niederlage der englischen Armeen fortsetzen.
Immer wieder sind die
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