Der Hundertjaehrige Krieg
so gut wie ruiniert waren und nur mit großen Anleihen des Kardinalbischofs Henry Beaufort halbwegs gerettet werden konnten. Das brachte ihm unverhältnismäßig starken Einfluß auf den ohnehin zum Frieden neigenden König, so daß Beauforts Politikdes Zeitgewinns durch Verhandlungen die Oberhand gegenüber den Befürwortern einer energischen Kriegführung gewann. Infolgedessen kam Karl VII. sogar im Bordelais zu Erfolgen, obwohl die Bevölkerung dort seit über hundert Jahren vom Weinexport nach England lebte und keineswegs geneigt war, sich unter die harte Herrschaft eines Königs von Frankreich zu begeben. 1441 hatte Karl die gesamte Île-de-France in der Hand, wandte sich im Sommer des folgenden Jahres wieder nach Süden und verbreitete mit einer großen Entrée in Toulouse den Eindruck, daß die Monarchie nicht auf den Norden beschränkt bleiben würde. Weitere Feldzüge brachten im folgenden Jahr so große Gewinne, daß nur noch die Stadt Bordeaux unbesetzt blieb. Niederlagen John Talbots in der Normandie machten den englischen Hof endgültig verhandlungsbereit, so daß am 16. April 1444 in Tours Beratungen begannen. Bevollmächtigte Karls VII. boten die Guyenne, Quercy, Périgord, Calais und Guînes als Lehen an, die englischen Gesandten unter Leitung Suffolks forderten dagegen souveränen Besitz von Guyenne und Normandie ohne Lehnsverpflichtung. Das waren unvereinbare Positionen, aber immerhin kam man am 28. Mai zu einem vorläufigen Waffenstillstand für 22 Monate, in den auch die Verbündeten beider Seiten einbezogen wurden: Die Könige von Kastilien, Sizilien und Schottland für Karl VII., der Römische Kaiser und die Kurfürsten, die Könige von Dänemark, Schweden, Norwegen und Portugal für Heinrich VI. Dieses Abkommen wurde bis 1449 mehrmals verlängert und gab Karl VII. Zeit, für einen neuen und wie erhofft letzten Krieg zu rüsten.
Im Frühjahr 1445 stellte der König 15 Kompanien auf, eingeteilt in jeweils 100 «Lanzen» genannte Untereinheiten aus einem meist adligen, schwer gepanzerten Reiter mit Hilfskraft und zwei ebenfalls berittenen Bogenschützen. Bald darauf wurde die Zahl der Kompanien auf 18 erhöht, so daß Karl VII. seit Ende 1446 ständig 7200 Mann Kavallerie unter Waffen hatte. Er folgte damit einem Zug der Zeit, denn auch in England wurde eine vergleichbare Heeresorganisation aufgebaut, so daß militärische Überlegenheit sich nicht aus dem System ergab, sondern aus Qualität der Truppe, taktischer Begabung ihrer Kommandeureund politischem Willen der Höfe. Weil es dem König von Frankreich nicht mehr nur um Erfolg im Krieg, sondern ebenso um die Befriedung des Landes ging, ließ er Truppenführer und Mannschaften für den bald sehr begehrten Dienst sorgfältig auswählen. Der Adel bemühte sich um die Kommandostellen, deren Inhaber aus der Kasse des Königs bezahlt wurden und ihm deshalb strikt untergeordnet waren. Damit verschwand allmählich der trübste Bodensatz der Gesellschaft aus der Armee, die Ansätze zu regelrechten Laufbahnen entwickelte. Wenn Kritiker die Kompanien des Königs als Werkzeuge der Tyrannei diffamierten, so artikulierten sie altständische Ordnungsvorstellungen, denn die Verstaatlichung der Personenverbände erreichte in Frankreich wie in anderen europäischen Monarchien eine neue Qualität. Der König besaß eine ständige Berufsarmee, die er durch Garnisontruppen ergänzte, um damit anders als bisher eroberte Städte dauerhaft besetzen zu können. Aus mehreren tausend Mann bestand eine freilich nicht sehr tüchtige Reservearmee von Bogenschützen, die für ihre Dienste steuerfrei gestellt waren und deshalb
francs-archers
genannt wurden. Die Erfindung neuer Metallegierungen erlaubte den Guß leichter, doch explosionssicherer Kanonenrohre, die der Armee folgen konnten und in offenen Feldschlachten einsetzbar waren. Neue Pulvermischungen erhöhten die Triebkraft der Geschütze, so daß im Festungskrieg nicht mehr Belagerung und Hungerblockade dominierten, sondern fortan ganze Städte sturmreif geschossen wurden.
Die weitere Führung des Krieges wurde Karl VII. durch Konflikte des englischen Hochadels mit Heinrich VI. erleichtert, der um diese Zeit seine persönliche Herrschaft beginnen wollte und einen endgültigen Friedensschluß anstrebte, der ihm die Normandie sichern sollte. Im Dezember 1446 ernannte er Edmund Beaufort, Herzog von Somerset, zum Regenten der Normandie, doch traf dieser erst im März 1448 auf dem Kontinent ein, vier Jahre
Weitere Kostenlose Bücher