Der Idiot
nicht, das Ende zu
finden?«
Sie ärgerte sich gewaltig.
»Ich würde gern noch hinzufügen«, fuhr Jewgeni Pawlowitsch lächelnd
fort, »daß alles, was ich von seiten Ihrer Kameraden gehört habe, und
alles, was Sie soeben auseinandergesetzt haben, und zwar mit so
zweifellosem Talent, meiner Ansicht nach zur Theorie vom Triumph des
Rechtes gehört, vor allem andern und sogar mit Übergehung alles andern
und vielleicht sogar, ohne daß untersucht worden wäre, worin denn
eigentlich das Recht besteht. Vielleicht irre ich mich?«
»Gewiß, Sie irren sich; ich verstehe Sie nicht einmal ... Und weiter?«
Auch in der Ecke wurde gemurrt. Lebedjews Neffe murmelte etwas halblaut.
»Weiter habe ich eigentlich kaum etwas zu sagen«, fuhr Jewgeni
Pawlowitsch fort; »ich wollte nur noch bemerken, daß infolge dieses
Verfahrens die Sache geradezu in das Recht der Gewalt umschlagen kann,
das heißt in das Recht der einzelnen Faust und des persönlichen
Beliebens, was übrigens in der Welt sehr oft der Ausgang gewesen ist.
Auch Proudhon ist bei dem Recht der Gewalt stehengeblieben. Im
amerikanischen Krieg haben viele der ersten Koryphäen des Liberalismus
sich für die Pflanzer erklärt, auf Grund der Anschauung, daß die Neger
eben nur Neger seien und tiefer ständen als die weiße Rasse, und daß
folglich das Recht der Gewalt auf seiten der Weißen sei ...«
»Nun?«
»Das heißt also: Sie verwerfen das Recht der Gewalt nicht?«
»Weiter?«
»Sie sind jedenfalls konsequent; ich wollte nur bemerken, daß es von
dem Recht der Gewalt zu dem Recht der Tiger und Krokodile und sogar zu
Männern wie Danilow und Gorski nicht weit ist.«
»Ich weiß nicht. Weiter?«
Ippolit hörte kaum zu, was Jewgeni Pawlowitsch sagte, und wenn er
ein »Nun« und ein »Weiter« dazwischenwarf, so schien er das mehr aus
einer alten, bei Gesprächen angenommenen Gewohnheit und nicht aus
Aufmerksamkeit und Neugier zu tun.
»Weiter wollte ich nichts sagen ... das ist alles.«
»Ich bin Ihnen übrigens nicht böse«, sagte Ippolit zum Schluß
plötzlich ganz unerwartet und streckte, wohl ohne sich dessen selbst
recht bewußt zu werden, dem andern die Hand hin, wobei er sogar
lächelte.
Jewgeni Pawlowitsch war zuerst erstaunt, ergriff dann aber mit ganz
ernstem Gesicht die ihm hingehaltene Hand, als nähme er die angebotene
Verzeihung an.
»Ich muß noch hinzufügen«, sagte er in demselben zweideutig
respektvollen Ton, »daß ich Ihnen dankbar bin für die Aufmerksamkeit,
mit der Sie mich haben reden lassen; denn nach meinen zahlreichen
Beobachtungen können unsere Liberalen niemanden seine eigene Meinung
aussprechen lassen, ohne ihrem Opponenten sofort mit Schimpfworten oder
sogar mit noch Schlimmerem zu antworten ...«
»Da haben Sie vollkommen recht«, bemerkte General Iwan Fjodorowitsch
und zog sich, die Hände auf den Rücken legend, mit gelangweilter Miene
zum Ausgang der Veranda zurück, wo er vor Ärger gähnte.
»Na, nun aber Schluß, lieber Freund!« wandte sich Lisaweta
Prokofjewna energisch an Jewgeni Pawlowitsch. »Ich habe eure Gespräche
satt bekommen ...«
»Es ist Zeit!« sagte Ippolit, der sich besorgt und fast erschrocken
erhob und verwirrt um sich blickte. »Ich habe Sie aufgehalten; ich
wollte Ihnen alles sagen ... ich meinte, daß Sie alle ... zum
letztenmal ... es war eine törichte Einbildung ...«
Es war deutlich, daß er manchmal wie mit einem Ruck wieder
lebendiger wurde und aus einem an wirkliches Irrereden streifenden
Zustand auf einmal für einige Augenblicke frei kam, sich mit vollem
Bewußtsein erinnerte und redete, und zwar größtenteils in abgerissenen
Sätzen, die er sich vielleicht schon vor längerer Zeit in langen, öden
Krankheitsstunden, wenn er einsam und schlaflos im Bett lag, in
Gedanken zurechtgelegt und auswendig gelernt hatte.
»Nun also, leben Sie wohl!« sagte er plötzlich schroff. »Sie meinen
wohl, es wird mir leicht, Ihnen Lebewohl zu sagen? Haha!« lachte er
selbst ärgerlich über seine »ungeschickte« Frage. Dann fügte er, wie
ergrimmt darüber, daß es ihm nicht recht gelang zu sagen, was er
wollte, laut und gereizt hinzu: »Exzellenz, ich habe die Ehre, Sie zu
meinem Begräbnis einzuladen, wenn anders Sie mich dieser Ehre würdigen
wollen, und nach dem General auch Sie alle, meine Herrschaften ...!« Er
lachte wieder auf; aber das war schon das Lachen eines Irren. Lisaweta
Prokofjewna trat erschrocken an ihn heran und faßte ihn an der Hand. Er
sah sie starr an, mit demselben
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