Der Idiot
seiner Mutter in ein und demselben Haus gewohnt und
ebenfalls ein Rasiermesser mit Seide umwickelt gehabt, um jemandem die
Kehle durchzuschneiden. Die ganze Zeit über, während ich bei ihnen in
ihrem Haus wohnte, hatte ich immer die Empfindung, als ob irgendwo
unter dem Dielenbelag ein vielleicht schon von seinem Vater versteckter
Leichnam liege, in Wachstuch eingewickelt wie jener Moskauer Leichnam
und ebenfalls rings von Gefäßen mit Schdanowscher Flüssigkeit 1 umgeben;
ich könnte Ihnen sogar die betreffende Ecke zeigen. Er schweigt immer;
aber ich weiß ja, daß er mich dermaßen liebt, daß er schon nicht anders
kann, als mich hassen. Ihre Hochzeit und die meinige sollen zu gleicher
Zeit stattfinden; so habe ich es mit ihm bestimmt. Ich habe vor ihm
keine Geheimnisse. Ich könnte ihn vor Angst töten ... Aber er wird mich
vorher töten ... Er lachte soeben auf und sagte, ich schriebe irres
Zeug; er weiß, daß ich an Sie schreibe.«
Und dergleichen irres Gerede stand noch vieles, vieles in diesen
Briefen. Einer von ihnen, der zweite, füllte zwei eng beschriebene
Briefbogen großen Formats.
Der Fürst verließ endlich den dunklen Park, in dem er wieder wie
gestern lange umhergeirrt war. Die helle Nacht, in der man alles
erkennen konnte, schien ihm noch heller als gewöhnlich. »Ob es denn
noch so früh ist?« dachte er. (Er hatte vergessen seine Uhr
mitzunehmen.) Er glaubte von irgendwoher in der Ferne Musik zu hören;
»wahrscheinlich beim Bahnhof«, dachte er wieder. »Sie werden heute
gewiß nicht dort sein.« Während er das überlegte, sah er, daß er gerade
dicht bei ihrem Landhaus stand; er hatte es ordentlich vorhergewußt,
daß er unbedingt schließlich hierher geraten werde, und stieg mit
stockendem Herzschlag zur Veranda hinauf. Es kam ihm niemand entgegen;
die Veranda war leer. Er wartete einen Augenblick und öffnete dann die
Tür zum Saal. »Diese Tür pflegten sie nie zu verschließen«, dachte er
flüchtig; aber auch der Saal war leer; in ihm war es fast ganz dunkel.
Unschlüssig blieb er mitten im Zimmer stehen. Plötzlich öffnete sich
eine Tür, und Alexandra Iwanowna kam mit einem Licht in der Hand
herein. Als sie den Fürsten erblickte, war sie erstaunt und blieb wie
fragend vor ihm stehen. Offenbar hatte sie nur durch das Zimmer
hindurchgehen wollen, von einer Tür zur andern, und nicht im
entferntesten erwartet, jemanden dort zu treffen.
»Wie kommen Sie denn hierher?« fragte sie endlich.
»Ich ... bin nur so hergekommen ...«
»Mama ist nicht ganz wohl, Aglaja ebenfalls. Adelaida ist dabei,
sich schlafen zu legen, und ich wollte es auch tun. Wir haben heute den
ganzen Abend allein zu Hause gesessen. Papa und der Fürst sind in
Petersburg.«
»Ich wollte ... ich wollte Ihnen jetzt ... einen Besuch machen ...«
»Wissen Sie, was die Uhr ist?«
»N-nein ...«
»Halb eins. Wir legen uns immer um ein Uhr schlafen.«
»Ach, ich dachte ..., es wäre halb zehn.«
»Nun, es macht nichts!« antwortete sie lachend. »Aber warum sind Sie
nicht vorhin gekommen? Sie wurden vielleicht sogar erwartet.«
»Ich dachte ...«, stotterte er und ging wieder fort.
»Auf Wiedersehen! Morgen werde ich sie alle durch diese Geschichte zum Lachen bringen.«
Er schritt auf dem Weg, der sich um den Park herumzog, seinem
Landhaus zu. Das Herz pochte ihm heftig; seine Gedanken waren in arger
Verwirrung, und alles um ihn herum glich gewissermaßen einem Traum. Und
plötzlich stand ganz wie vor kurzem, wo er zweimal bei derselben
Traumvision erwacht war, diese Vision wieder vor ihm. Dieselbe Frau
trat aus dem Park heraus und blieb vor ihm stehen, als ob sie hier auf
ihn gewartet hätte. Er fuhr zusammen und machte halt; sie ergriff seine
Hand und drückte sie kräftig. »Nein«, sagte er sich, »das ist kein
Traumbild!« So stand sie denn endlich zum erstenmal seit ihrer Trennung
Gesicht gegen Gesicht vor ihm; sie sagte etwas zu ihm; aber er blickte
sie nur schweigend an; sein Herz war zu voll und schmerzte ihn heftig.
Oh, nie konnte er in der Folgezeit diese Begegnung mit ihr vergessen
und erinnerte sich ihrer immer mit gleichem Schmerz. Sie kniete mitten
auf dem Weg wie eine Wahnsinnige vor ihm nieder; erschrocken trat er
zurück; aber sie erhaschte seine Hand, um sie zu küssen, und ganz
ebenso wie am Morgen im Traum glänzten jetzt Tränen an ihren langen
Wimpern.
»Steh auf, steh auf!« flüsterte er erschrocken und versuchte, sie aufzuheben. »Steh schnell auf!«
»Bist du glücklich? Bist du
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