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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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zeigte
Ihnen dort die nackte Sünde, so dürften Sie doch nicht erröten; Sie
können schlechterdings nicht über eine Beleidigung entrüstet sein. Sie
können alle gemeinen, unwürdigen Menschen hassen, aber nicht um ihrer
Eigenschaften willen, sondern aus Teilnahme für diejenigen, denen sie
Kränkungen zufügen. Ihnen aber, Ihnen kann niemand eine Kränkung
zufügen. Wissen Sie, ich meine, Sie müßten mich sogar lieben. Für mich
sind Sie dasselbe wie für ihn: eine hehre Lichtgestalt; ein Engel aber
kann nicht hassen; er kann gar nicht anders als lieben. Kann man alle
lieben, alle Menschen, all seine Nächsten? Ich habe mir diese Frage oft
vorgelegt. Gewiß nicht; das ist sogar unnatürlich. In der abstrakten
Liebe zur Menschheit liebt man fast immer nur sich selbst. Aber wenn
dies auch uns unmöglich ist, so sind Sie doch ein anderes Wesen: wie
könnten Sie jemand nicht lieben, da Sie sich mit niemand auf eine Stufe
stellen können, und da Sie über alle Kränkungen und über alle
persönliche Entrüstung erhaben sind? Sie allein können ohne Egoismus
lieben; Sie allein können nicht um Ihrer selbst willen lieben, sondern
um desjenigen willen, den Sie lieben. O wie schmerzlich würde es mir
sein, zu erfahren, daß Sie um meinetwillen Scham oder Zorn empfänden!
Das wäre Ihr Untergang: damit stellten Sie sich auf einmal mir gleich
...
    Nachdem ich Ihnen gestern begegnet und nach Hause gekommen war,
dachte ich mir ein Gemälde aus. Die Maler stellen Christus immer der
biblischen Tradition gemäß dar; ich würde ihn anders malen: ich würde
ihn allein darstellen; seine Jünger haben ihn ja auch manchmal allein
gelassen. Ich würde nur ein kleines Kind bei ihm lassen. Das Kind hat
neben ihm gespielt, ihm vielleicht etwas in seiner kindlichen Sprache
erzählt; Christus hat ihm zugehört; aber jetzt ist er in seine Gedanken
versunken; seine Hand ist unwillkürlich, in Selbstvergessenheit, auf
dem blonden Köpfchen des Kindes liegengeblieben. Er blickt in die
Ferne, nach dem Horizont; ein ruhiger Gedanke, groß wie die Welt, liegt
in seinem Blick; sein Gesicht ist traurig. Das Kind ist verstummt; es
hat seinen Ellbogen auf das Knie des Heilandes gesetzt, die eine Wange
in die Hand gestützt, das Köpfchen aufgehoben und schaut ihn nun
unverwandt nachdenklich an, in der Art wie Kinder manchmal nachdenklich
sind ... Das ist mein Bild! Sie sind unschuldig, und in Ihrer Unschuld
liegt Ihre ganze Vollkommenheit. Oh, vergessen Sie das nicht! Was geht
Sie die Leidenschaft an, die ich für Sie empfinde? Sie gehören schon
jetzt mir; ich werde mein ganzes Leben lang um Sie sein ... Aber ich
werde bald sterben.«
    Im letzten Brief endlich hieß es:
    »Beurteilen Sie mich nur um Gottes willen nicht falsch; glauben Sie
nicht etwa, daß ich mich geflissentlich selbst herabsetze, wenn ich so
an Sie schreibe, oder daß ich zu denjenigen Wesen gehöre, denen es ein
Genuß ist, sich herabzusetzen, wenn es auch aus Stolz geschieht. Nein,
ich habe meinen Trost für mich; aber es wird mir schwer, Ihnen das zu
erklären. Es würde mir sogar schwer werden, das mir selbst deutlich zu
sagen, obwohl ich mich damit quäle. Aber ich weiß, daß bei mir die
Möglichkeit ausgeschlossen ist, ein Anfall von Stolz könnte mich
veranlassen, mich selbst herabzusetzen. Und einer Selbstherabsetzung
aus Herzensreinheit bin ich gleichfalls unfähig. Folglich ist eine
Selbstherabsetzung bei mir überhaupt unmöglich.
    Warum will ich Sie beide vereinigen: um meinet willen oder um
Ihretwillen? Natürlich um meinetwillen; darin finde ich meine ganze
Absolution; das habe ich mir längst gesagt ... Ich habe gehört, daß
Ihre Schwester Adelaida damals von meinem Porträt gesagt hat, mit einer
solchen Schönheit könne man die Welt umdrehen. Aber ich habe der Welt
entsagt. Es mag Ihnen lächerlich erscheinen, daß ich so rede, da Sie
mich, mit Spitzen und Brillanten angetan, in der Gesellschaft von
Trunkenbolden und Taugenichtsen sehen. Aber danach dürfen Sie nicht
urteilen; ich existiere kaum noch und weiß das; weiß Gott, was an
meiner Statt in mir lebt. Ich lese das täglich in den beiden
furchtbaren Augen, die mich beständig ansehen, selbst wenn sie nicht
leiblich zugegen sind. Diese Augen schweigen jetzt (sie schweigen
immer); aber ich kenne ihr Geheimnis. Ich bin überzeugt, daß bei ihm zu
Hause in einer Schublade ein Rasiermesser versteckt liegt, mit Seide
umwickelt, so daß es feststeht, wie bei jenem Moskauer Mörder; dieser
hat ebenfalls mit

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