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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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selten, weil das, von andern Gründen abgesehen, gar
zu unbequem ist; aber trotzdem: Wieviele Bräutigame, sogar achtbare,
verständige Männer, haben nicht vor der Trauung in der Tiefe ihrer
Seele die Empfindung gehabt, daß sie Podkolesins seien! Ebenso rufen ja
auch nicht alle Männer bei jedem Schritt: »Tu l'as voulu, George
Dandin!« Aber, o Gott, wie viele millionen- und billionenmal ist von
den Männern der ganzen Welt dieser Aufschrei des Herzens nach den
Flitterwochen, ja, wer weiß, vielleicht schon am Tag nach der Hochzeit
wiederholt worden!
    Wir wollen also, ohne uns auf ernsthaftere Erklärungen einzulassen,
nur sagen, daß in der Wirklichkeit das eigentlich Typische der
Charaktere gewissermaßen mit Wasser verdünnt ist, und daß alle diese
George Dandins und Podkolesins wirklich existieren und alle Tage, wenn
auch in etwas verdünntem Zustand, an uns vorüberhuschen und
vorüberlaufen. Der Vollständigkeit halber wollen wir schließlich noch
bemerken, daß einem auch ein ganzer George Dandin, wie ihn Molière
geschaffen hat, in der Wirklichkeit begegnen kann, wenn auch nur
selten, und damit unsere Betrachtung abschließen, die einem Artikel in
einer Monatsschrift ähnlich zu werden beginnt. Indes bleibt immer noch
die Frage zu beantworten: was soll der Romanschriftsteller mit den
Alltagsmenschen, den Leuten von ganz gewöhnlicher Art anfangen, und wie
soll er sie dem Leser vorführen, um sie ihm einigermaßen interessant zu
machen? Sie in der Erzählung ganz zu übergehen, ist untunlich, weil die
Alltagsmenschen immer und überall das unumgängliche Bindeglied der
Ereignisse des Lebens bilden. Wollte man einen Roman, um Interesse zu
erregen, nur mit scharf ausgeprägten Charakteren oder gar nur mit
seltsamen, nie dagewesenen Persönlichkeiten anfüllen, so würde man
damit gegen die Wahrscheinlichkeit verstoßen und vielleicht sogar
uninteressant werden. Unserer Ansicht nach muß sich der Schriftsteller
bemühen, auch an den Alltagsmenschen interessante und lehrreiche Seiten
herauszufinden. Wenn zum Beispiel das eigentliche Wesen gewisser
Alltagsmenschen gerade in ihrer steten, unveränderlichen Alltäglichkeit
besteht, oder (was noch besser ist) wenn sie trotz all ihrer
außerordentlichen Anstrengungen, um jeden Preis aus dem Geleise des
Gewöhnlichen und Herkömmlichen herauszukommen, doch schließlich ihr
Leben lang unveränderte Alltagsmenschen bleiben, dann erhalten solche
Personen dadurch sogar einen gewissen eigenartig ausgeprägten
Charakter: den einer Alltäglichkeit, die um keinen Preis das, was sie
ist, bleiben und um jeden Preis Originalität und Selbständigkeit werden
möchte, obwohl sie nicht die geringste Befähigung zur Selbständigkeit
besitzt.
    Zu dieser Klasse der gewöhnlichen oder Alltagsmenschen gehören auch
einige Personen unserer Erzählung, die dem Leser bisher, wie ich recht
wohl weiß, noch nicht mit hinreichender Klarheit und Bestimmtheit
geschildert worden sind. Solche Personen sind namentlich Warwara
Ardalionowna Ptizyna sowie ihr Gatte Herr Ptizyn und ihr Bruder Gawrila
Ardalionowitsch.
    In der Tat, es kann nichts Ärgerlicheres geben, als zum Beispiel
reich und von anständiger Familie zu sein, ein nettes Äußeres und eine
hübsche Bildung sein eigen zu nennen, nicht dumm zu sein, sogar ein
gutes Herz zu haben, und gleichzeitig kein Talent, keine Besonderheit,
nicht einmal eine Wunderlichkeit, keine eigene Idee zu besitzen,
sondern einfach ebenso zu sein, »wie alle Menschen«. Reichtum ist ja
vorhanden, aber nicht der eines Rothschild; die Familie ist ehrenhaft,
hat sich aber nie durch irgend etwas hervorgetan; das Äußere ist ja
hübsch, aber sehr wenig ausdrucksvoll; die Bildung entspricht den
gewöhnlichen Anforderungen, aber man weiß nicht, wozu man sie verwenden
soll; Verstand besitzt man, aber ohne eigene Ideen; ein gutes Herz hat
man, aber ohne eigentlichen Edelmut, und so weiter und so weiter in
allen Beziehungen. Solcher Leute gibt es auf der Welt eine große Menge
und sogar weit mehr, als man zunächst glauben möchte; sie zerfallen,
wie alle Menschen, in zwei Hauptklassen: zur einen gehören die
beschränkten, zur andern die »weit klügeren«. Die ersteren sind
glücklicher. Für einen beschränkten Alltagsmenschen gibt es zum
Beispiel nichts Leichteres als sich einzubilden, er sei ein
ungewöhnlicher, origineller Mensch, und davon ohne Bedenken das Gefühl
eines hohen Genusses zu haben. Einige unserer jungen Damen brauchen
sich nur die Haare

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