Der Idiot
Generalsrang«, sagte er mitunter scherzend
zu ihm; »aber paß einmal auf, alle deine idealistisch veranlagten
Bekannten werden schließlich, wenn die Reihe an sie kommt, Generäle
werden; wenn du lange genug lebst, wirst du es schon sehen.« »Wie
kommen manche Leute nur zu dem Glauben, ich sei ein Verächter der
Generäle und des Generalsranges?« dachte Ganja im stillen bitter und
spöttisch. Um ihrem Bruder behilflich zu sein, entschloß sich Warwara
Ardalionowna dazu, den Kreis ihrer Tätigkeit zu erweitern: sie
verschaffte sich Zutritt bei der Familie Jepantschin, wobei ihr
Erinnerungen an die Kinderzeit halfen; denn sowohl sie selbst als auch
ihr Bruder hatten als Kinder mit den Jepantschinschen Töchtern
gespielt. Wir merken hier an, daß Warwara Ardalionowna, wenn sie mit
ihren Besuchen bei den Jepantschinschen Damen irgendein phantastisches
Ziel vor Augen gehabt hätte, vielleicht eben dadurch sofort aus jener
Menschenklasse ausgeschieden wäre, zu der sie sich selbst rechnete;
aber sie hatte kein phantastisches Ziel vor Augen, sondern es lag
ihrerseits sogar eine sehr wohlbegründete Spekulation vor, bei der sie
den Charakter dieser Familie als Grundlage benutzte. Aglajas Charakter
studierte sie unermüdlich. Sie hatte sich die Aufgabe gestellt, die
beiden jungen Leute, ihren Bruder und Aglaja, wieder zusammenzubringen.
Vielleicht hatte sie tatsächlich einiges erreicht; vielleicht hatte sie
auch Fehler begangen, indem sie zum Beispiel zu sehr auf ihren Bruder
rechnete und von ihm etwas erwartete, was er nie und auf keine Weise
hätte leisten können. Jedenfalls operierte sie bei Jepantschins sehr
kunstvoll: sie erwähnte wochenlang ihren Bruder mit keinem Wort, war
immer sehr wahrheitsliebend und aufrichtig und benahm sich schlicht,
aber würdig. Was aber ihr innerstes Gewissen anlangt, so fürchtete sie
sich nicht, in dasselbe hineinzublicken, und machte sich nicht den
geringsten Vorwurf. Und dadurch wuchs ihre Kraft noch mehr. Nur eins,
was ihr mißfiel, bemerkte sie manchmal an sich: daß auch sie sehr viel
Ehrgeiz besaß, sich gelegentlich ärgerte und in ihrer Eitelkeit verletzt fühlte; besonders bemerkte sie das zu
bestimmten Zeiten, und zwar fast jedesmal, wenn sie von Jepantschins
fortging.
So kehrte sie also auch jetzt von ihnen heim und, wie wir schon
gesagt haben, in nachdenklicher, trüber Stimmung. In dieser trüben
Stimmung lag auch eine gewisse Portion spöttischer Bitterkeit. Ptizyn
bewohnte in Pawlowsk ein unansehnliches, aber geräumiges Holzhaus, das
an einer staubigen Straße gelegen war und demnächst in seinen vollen
Besitz übergehen sollte, so daß er schon seinerseits es wieder einem
Dritten zum Kauf angeboten hatte. Als Warwara Ardalionowna die
Freitreppe hinanstieg, hörte sie oben im Haus einen ungewöhnlichen Lärm
und unterschied die schreienden Stimmen ihres Bruders und ihres Vaters.
In den Salon eintretend, sah sie Ganja, der, ganz blaß vor Wut, im
Zimmer auf und ab lief und sich beinah die Haare ausriß; sie runzelte
bei diesem Anblick die Stirn und ließ sich mit müder Miene auf das Sofa
sinken, ohne den Hut abzunehmen. Sie wußte ganz genau, daß, wenn sie
noch ungefähr eine Minute lang schwieg und ihren Bruder nicht fragte,
warum er so umherlaufe, dieser mit Sicherheit darüber in Zorn geraten
werde; daher beeilte sie sich schließlich, in Form einer Frage zu sagen:
»Immer noch die alte Geschichte?«
»Ach was, die alte Geschichte!« rief Ganja. »Die alte Geschichte!
Nein, weiß der Teufel, was jetzt hier vorgeht! Etwas Neues! Der Alte
ist ganz rasend geworden ... die Mutter heult. Wahrhaftig, Warja, rede,
was du willst, aber ich werde ihn aus dem Haus jagen oder ... oder
selbst von euch wegziehen«, fügte er hinzu, wahrscheinlich weil ihm
einfiel, daß man aus einem fremden Haus niemand wegjagen kann.
»Man muß doch Nachsicht haben«, murmelte Warja.
»Nachsicht womit? Mit wem?« fuhr Ganja auf. »Mit seinen
Gemeinheiten? Nein, da kannst du reden, was du willst, aber das geht so
nicht länger! Unmöglich, unmöglich, unmöglich! Und was ist das für eine
Manier: er hat sich vergangen und trumpft dabei noch auf. Wie ein
störrisches Tier: ›Ich will nicht ins Tor, reiß den Zaun nieder!‹ Warum
sitzt du so da? Was machst du denn für ein Gesicht?«
»Mein Gesicht ist wie immer«, erwiderte Warja mißvergnügt. Ganja sah
sie genauer an. »Bist du dort gewesen?« fragte er plötzlich.
»Ja.«
»Warte, da schreit er wieder! Es ist eine Schande, und noch
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