Der Idiot
Allerdings macht sie sich, wie mir gesagt wird, über
den Fürsten vom Morgen bis zum Abend aus Leibeskräften lustig, um sich
nichts merken zu lassen; aber gewiß weiß sie ihm täglich im stillen
etwas Angenehmes zu sagen; denn er geht umher wie im Himmel und strahlt
ordentlich ... Er soll furchtbar komisch aussehen. Das habe ich von den
beiden älteren Schwestern gehört. Es schien mir auch, als ob sich diese
mir ins Gesicht über mich lustig machten.«
Ganja machte endlich ein finsteres Gesicht; vielleicht vertiefte
sich Warja absichtlich in dieses Thema, um in seine wahren Gedanken
einzudringen. Aber jetzt erscholl oben wieder Geschrei.
»Ich werde ihn aus dem Haus jagen!« brüllte Ganja, wie wenn er sich freute, seinem Ärger Luft machen zu können.
»Dann wird er wieder hingehen und uns überall blamieren, wie gestern.«
»Was meinst du mit ›wie gestern‹? Was soll das heißen: ›wie
gestern‹? Ist er etwa ...«, fragte Ganja, der plötzlich einen
gewaltigen Schreck bekam.
»Ach, mein Gott, weißt du es denn nicht?« fragte Warja erschrocken.
»Wie? Also ist es wirklich wahr, daß er dort gewesen ist?« rief
Ganja, der vor Scham und Wut ganz rot wurde. »O Gott, du kommst ja von
dort! Hast du etwas erfahren? Ist der Alte dagewesen? War er da oder
nicht?«
Ganja stürzte nach der Tür; Warja lief zu ihm hin und ergriff ihn mit beiden Händen.
»Was hast du? Wo willst du hin?« sagte sie. »Wenn du ihn jetzt
hinausläßt, wird er bei allen Menschen herumgehen und noch schlimmere
Dinge anrichten!«
»Was hat er denn dort angerichtet? Was hat er gesagt?«
»Sie haben es selbst nicht recht begriffen und konnten es mir nicht
ordentlich wiedererzählen; nur hat er alle in Angst versetzt. Er wollte
zu Iwan Fjodorowitsch; aber der war nicht zu Hause; dann verlangte er,
Lisaweta Prokofjewna zu sprechen. Zuerst bat er sie um eine Stelle; er
wolle wieder in den Dienst treten; und dann fing er an, sich über uns
zu beklagen, über mich, über meinen Mann, namentlich aber über dich ...
er hat alles mögliche zusammengeredet.«
»Du hast es nicht erfahren können?« fragte Ganja, krampfhaft zitternd.
»Wie wäre das möglich! Er hat selbst kaum verstanden, was er redete;
und vielleicht haben sie mir auch nicht alles wiedergesagt.«
Ganja griff sich an den Kopf und lief zum Fenster; Warja setzte sich an das andere Fenster.
»Wie komisch Aglaja ist«, bemerkte sie plötzlich. »Als ich weggehen
wollte, hielt sie mich noch zurück und sagte zu mir: ›Bestellen Sie
Ihren Eltern den Ausdruck meiner besonderen persönlichen Hochachtung;
ich werde in diesen Tagen gewiß Gelegenheit finden, mit Ihrem Papa zu
sprechen.‹ Und das sagte sie ganz ernst. Es war sehr merkwürdig ...«
»Nicht spöttisch? Nicht spöttisch?«
»Das ist es eben, daß sie es nicht spöttisch sagte; darum war es so merkwürdig.«
»Weiß sie, was der Alte gemacht hat, oder nicht? Was meinst du?«
»Daß es bei ihnen nicht die ganze Familie weiß, ist mir nicht
zweifelhaft; aber du bringst mich da auf einen Gedanken: vielleicht
weiß es Aglaja. Und sie wird die einzige sein, die es weiß; denn auch
die Schwestern waren verwundert, als sie mir mit solchem Ernst eine
Empfehlung an den Vater auftrug. Und warum gerade an ihn? Wenn sie es
weiß, dann muß es ihr der Fürst gesagt haben!«
»Es wird kein Kunststück sein, herauszubringen, wer es ihr gesagt
hat! Ein Dieb! Das fehlte nur noch! Ein Dieb in unserer Familie, das
›Oberhaupt der Familie‹!«
»Ach, dummes Zeug!« rief Warja ganz ärgerlich. »Gerede Betrunkener,
weiter nichts! Und wer hat es aufgebracht? Lebedjew und der Fürst ...
selbst eine nette Sorte; Menschen ohne Vernunft. Ich mache mir auch
nicht so viel daraus.«
»Der Alte ein Dieb und Trunkenbold«, fuhr Ganja bitter fort, »ich
ein Bettler, der Mann meiner Schwester ein Wucherer – das konnte Aglaja
locken! Das muß man sagen: eine angenehme Sippschaft!«
»Und doch ist es dieser Mann deiner Schwester, der Wucherer, der dich ...«
»Füttert, nicht wahr? Bitte, geniere dich nicht!«
»Warum bist du denn so ärgerlich?« erwiderte Warja.
»Du verstehst auch gar nichts; du bist wie ein Schuljunge. Du
meinst, all das hätte dir in Aglajas Augen schaden können? Da kennst du
ihren Charakter schlecht; die wäre imstande, sich von dem besten
Bewerber abzuwenden und zu irgendeinem Studenten mit Vergnügen auf die
Dachkammer zu laufen, um da Hungers zu sterben; das ist ihr Ideal, von
dem sie phantasiert! Du hast nie
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