Der Idiot
ist es«, sagt
er sich, »worauf ich mein ganzes Leben verwendet habe; das ist es, was
mich an Händen und Füßen gebunden hat; das ist es, was mich gehindert
hat, das Pulver zu erfinden! Wäre dieses Hindernis nicht gewesen, dann
hätte ich vielleicht sicher entweder das Pulver erfunden oder Amerika
entdeckt; ich weiß noch nicht genau, was; aber erfunden oder entdeckt
hätte ich sicherlich etwas!« Das Charakteristische bei diesen Herren
ist dies, daß sie tatsächlich ihr ganzes Leben lang sich nicht recht
darüber klarwerden können, was sie eigentlich so eifrig zu erfinden und
zu entdecken wünschen, und was für eine Großtat sie eigentlich das
ganze Leben hindurch auf dem Sprung standen auszuführen, ob die
Erfindung des Pulvers oder die Entdeckung Amerikas. Aber ihre
schmerzliche Sehnsucht nach einer solchen Großtat hätte wirklich für
einen Kolumbus oder Galilei ausgereicht.
Gawrila Ardalionowitsch begann gerade sich in dieser Weise zu
entwickeln; aber, wie gesagt, er stand erst im Beginn. Er hatte noch
die lange Periode der tollen Streiche vor sich. Das tiefe, stetige
Bewußtsein seiner Talentlosigkeit und gleichzeitig das unüberwindliche
Verlangen, sich davon zu überzeugen, daß er ein durchaus selbständiger
Mensch sei, hatten sein Herz schwer verwundet, fast schon von seiner
Knabenzeit her. Er war ein junger Mensch mit neidischen, stoßweise
heftigen Bestrebungen und hatte anscheinend schon bei der Geburt ein
reizbares Nervensystem mitbekommen. Die stoßweise Heftigkeit seiner
Bestrebungen hielt er für Stärke derselben. Bei seinem
leidenschaftlichen Wunsch, sich hervorzutun, war er manchmal zu den
sinnlosesten Sprüngen bereit; aber sowie die Ausführung eines solchen
sinnlosen Sprunges nahe heranrückte, war unser Held doch immer zu klug,
als daß er sich zu ihm hätte entschließen mögen. Das drückte ihn
nieder. Vielleicht hätte er sich bei Gelegenheit sogar zu einer recht
gemeinen Handlung verstanden, falls er dadurch etwas von seinen
erträumten Zielen hätte erreichen können; aber gerade, wenn es an den
entscheidenden Punkt kam, war er jedesmal für die recht gemeine
Handlung doch zu ehrlich. (Zu einer gemeinen Handlung kleineren
Kalibers war er übrigens jederzeit bereit.) Mit Widerwillen und Haß
blickte er auf die Armut und den Niedergang seiner Familie. Selbst
seine Mutter behandelte er von oben herab und geringschätzig, obgleich
er selbst sehr wohl wußte, daß der gute Ruf seiner Mutter vorläufig den
Hauptstützpunkt auch für seine eigene Karriere bildete. Als er mit
Jepantschin in Verbindung trat, sagte er sich sofort: »Entschließt man
sich einmal, ein Schuft zu sein, dann muß man es auch bis zum Ende
bleiben, wenn man nur dadurch sein Spiel gewinnt« – aber er führte die
Rolle des Schuftes fast nie bis zu Ende durch. Warum hatte er auch
überhaupt gemeint, er müsse unbedingt schuftig handeln? Vor Aglaja
hatte er damals einfach Angst bekommen, hatte aber trotzdem die
Beziehungen zu ihr nicht abgebrochen, sondern die Sache für jeden Fall
in die Länge gezogen, obgleich er nie ernsthaft geglaubt hatte, daß sie
sich zu ihm herablassen werde. Als dann seine Affäre mit Nastasja
Filippowna spielte, hatte er sich auf einmal die Vorstellung
zurechtgemacht, mit Geld lasse sich alles erreichen. »Wenn man ein
Schuft ist, dann muß man es auch ordentlich sein!« wiederholte er sich
damals täglich selbstzufrieden, aber mit einiger Furcht; »läßt man sich
auf Schuftigkeiten ein, dann muß man damit auch bis zum höchsten Gipfel
gehen«, sagte er sich alle Augenblicke zu seiner Ermutigung;
»gewöhnliche Menschen bekommen es in solchen Fällen mit der Angst, aber
wir nicht!« Als er Aglaja verloren hatte und durch die Umstände
niedergebeugt war, verlor er vollständig den Mut und stellte
tatsächlich dem Fürsten das Geld zu, das ihm damals die wahnsinnige
Frau hingeworfen hatte, der es von einem ebenfalls wahnsinnigen Mann
gebracht worden war. Daß er das Geld in dieser Weise wieder weggegeben
hatte, bereute er nachher tausendmal, obwohl er sich fortwährend damit
brüstete. Er weinte wirklich während der drei Tage, die der Fürst
damals in Petersburg zubrachte; aber in diesen drei Tagen warf er auch
schon einen Haß auf den Fürsten, weil dieser ihn gar zu mitleidsvoll
behandelte, obwohl doch eine solche Handlung, wie es die Rückgabe einer
so großen Geldsumme war, »nicht jeder fertiggebracht haben würde«. Aber
die achtungswerte Selbsterkenntnis, daß sein ganzer Kummer
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