Der Idiot
nur von
ununterbrochener Verletzung seiner Eitelkeit herkam, quälte ihn
schrecklich. (Erst lange nachher gelangte er zu einem klareren Urteil
und zu der Erkenntnis, was für eine ernste Wendung sein Verhältnis zu
einem so unschuldigen, eigenartigen Wesen wie Aglaja hätte nehmen
können.) Die Reue nagte an seinem Herzen; er gab seine Stelle auf und
vergrub sich in seinen Gram und seine Trübsal. Er lebte mit seinem
Vater und seiner Mutter bei Ptizyn auf dessen Kosten, bezeigte diesem
aber unverhohlen seine Geringschätzung, wiewohl er gleichzeitig auf seine Ratschläge hörte und verständig genug war,
ihn fast immer um solche zu bitten. Gawrila Ardalionowitsch ärgerte
sich zum Beispiel auch darüber, daß Ptizyn nicht darauf ausging, ein
Rothschild zu werden, und sich dies nicht als Ziel gesetzt hatte. »Wenn
man einmal ein Wucherer ist, dann muß man es auch gründlich sein,
Charakter zeigen, die Leute schinden, Geld aus ihnen prägen, ärger als
der ärgste Jude verfahren!« Ptizyn war ein bescheidener, stiller
Mensch; er lächelte nur zu solchen Reden; aber einmal hielt er es doch
für nötig, sich Ganja gegenüber ernsthaft auszusprechen, und führte das
sogar mit einer gewissen Würde aus. Er wies ihn darauf hin, daß er
nichts Unehrliches tue, und daß Ganja ihn ohne Berechtigung einen Juden
nenne; er könne nichts dafür, daß es so schwer sei, zu Geld zu kommen;
er handle rechtlich und ehrenhaft und sei eigentlich bei »diesen
Geschäften« nur Agent; aber infolge seiner geschäftlichen
Zuverlässigkeit sei er schon hervorragenden Persönlichkeiten
vorteilhaft bekannt geworden, und seine Geschäfte gewönnen immer mehr
an Ausdehnung. »Ein Rothschild werde ich nicht werden, und das ist auch
nicht nötig«, fügte er lachend hinzu; »aber zu einem Haus in der
Liteinaja-Straße werde ich es wohl bringen, vielleicht auch zu zweien,
und damit werde ich abschließen.« Im stillen aber dachte er: »Wer weiß,
vielleicht auch zu dreien!«, sprach das aber nie laut aus, sondern
verbarg diese Zukunftsphantasie. Das Schicksal liebt solche Menschen
und verfährt gegen sie freundlich: es wird Herrn Ptizyn nicht mit drei,
sondern gewiß mit vier Häusern belohnen, und zwar gerade dafür, daß er
von seiner Kindheit an gewußt hat, er werde nie ein Rothschild werden.
Aber andererseits wird das Schicksal unter keinen Umständen über vier
Häuser hinausgehen, und damit wird die Sache für Ptizyn ihren Abschluß
finden.
Eine ganz andersartige Persönlichkeit war Gawrila Ardalionowitschs
Schwester. Auch sie war von einem kräftigen Streben erfüllt, das aber
mehr den Charakter der Beharrlichkeit als den stoßweiser Heftigkeit
trug. Sie bewies viel Verstand, wenn eine Sache zu dem entscheidenden
Punkt gelangt war; aber es mangelte ihr auch schon vorher nicht daran.
Allerdings gehörte auch sie zu der Klasse der »gewöhnlichen« Leute, die
von Originalität träumen; aber sie erkannte doch sehr bald, daß sie
keine Spur von besonderer Originalität besaß, und grämte sich darüber
nicht allzu sehr – wer weiß, vielleicht aus einer eigenen Art von
Stolz. Ihren ersten Schritt ins praktische Leben führte sie mit großer
Entschlossenheit aus, indem sie Herrn Ptizyn heiratete; aber indem sie
das tat, sagte sie ganz und gar nicht zu sich selbst: »Will man gemein
handeln, dann gründlich, wenn man nur sein Ziel erreicht«, wie Gawrila
Ardalionowitsch in solchem Fall nicht unterlassen hätte sich
auszudrücken (er war nahe daran, sich vor ihren eigenen Ohren so
auszudrücken, als er als älterer Bruder seine Billigung ihres
Entschlusses aussprach). Vielmehr heiratete Warwara Ardalionowna ganz
im Gegenteil erst, nachdem sie zu der wohlbegründeten Überzeugung
gelangt war, daß ihr künftiger Gatte ein bescheidener, angenehmer,
beinah gebildeter Mann sei und größere Gemeinheiten nie und um keinen
Preis begehen werde. Nach kleineren Gemeinheiten fragte Warwara
Ardalionowna nicht; das waren eben Kleinigkeiten, und solche
Kleinigkeiten kamen ja in der Welt überall vor. Ein Ideal zu suchen
hätte sie für töricht gehalten. Zudem wußte sie, daß sie durch diese
Heirat ihrer Mutter, ihrem Vater und ihren Brüdern zu einer Unterkunft
verhalf. Da sie ihren Bruder Ganja im Unglück sah, so wünschte sie,
trotz aller früheren Zwistigkeiten in der Familie, ihm zu helfen.
Ptizyn drängte seinen Schwager Ganja manchmal, natürlich
freundschaftlich, dazu, wieder eine Stelle anzunehmen. »Da verachtest
du nun die Generäle und den
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