Der Idiot
mit anzuhören, und waren alle
überrascht von dem »törichten Benehmen, das nicht die geringsten Folgen
haben könne«, und noch mehr von der ernsten Stimmung, in der Aglaja von
diesem törichten Benehmen sprach. Alle sahen einander fragend an; aber
der Fürst schien diese Worte gar nicht verstanden zu haben und war auf
dem Gipfel der Glückseligkeit.
»Warum reden Sie so?« murmelte er; »warum ... bitten Sie ... um Verzeihung ...?«
Er wollte sogar sagen, daß er unwürdig sei, um Verzeihung gebeten zu
werden. Wer weiß, vielleicht hatte er auch den Sinn der Worte »ein
törichtes Benehmen, das nicht die geringsten Folgen haben kann«,
verstanden und freute sich, ein sonderbarer Mensch, wie er nun einmal
war, über diese Worte. Unstreitig bildete es für ihn schon den Gipfel
der Seligkeit, daß er wieder unbehindert zu Aglaja kommen, mit ihr
reden, mit ihr spazierengehen durfte, und wer weiß, vielleicht wäre er
damit sein ganzes Leben lang zufrieden gewesen! (Gerade diese
Genügsamkeit war es anscheinend, was Lisaweta Prokofjewna im stillen
fürchtete; sie erriet sie und hegte im stillen viele Befürchtungen, die
sie selbst nicht deutlich auszusprechen wußte.)
Man kann sich nur schwer eine Vorstellung davon machen, wie lebhaft
und munter sich der Fürst an diesem Abend zeigte. Er war so heiter, daß
man bei seinem Anblick selbst heiter wurde, wie sich nachher Aglajas
Schwestern ausdrückten. Er war gesprächig, und das hatte sich bei ihm
seit jenem Vormittag nicht wiederholt, an dem er vor einem halben Jahr
zuerst die Bekanntschaft der Familie Jepantschin gemacht hatte; nach
seiner Rückkehr nach Petersburg war er in auffälliger Weise absichtlich
schweigsam gewesen und hatte erst kürzlich in Gegenwart aller zum
Fürsten Schtsch. gesagt, er müsse sich beherrschen und schweigen, da er
eine Idee nicht dadurch entwürdigen dürfe, daß er sie auseinandersetze.
An diesem Abend redete er fast allein und erzählte viel; auf Fragen
antwortete er mit Freuden, klar und eingehend. Aber in seinen Worten
war nichts zu entdecken, was an die Redeweise eines Verliebten erinnert
hätte. Es waren lauter ernste, zum Teil sogar schwierige Gedanken. Der
Fürst trug sogar einige eigene Ansichten, einige eigene geheime
Beobachtungen vor, so daß das alles sogar einen lächerlichen Eindruck
gemacht hätte, wäre nicht die »schöne Darstellung« gewesen, wie nachher
alle Zuhörer übereinstimmend erklärten. Zwar liebte der General ernste
Gesprächsthemata; aber sowohl er als auch Lisaweta Prokofjewna fanden
im stillen, daß das Gespräch doch gar zu gelehrt sei, so daß sie gegen
das Ende des Abends geradezu traurig wurden. Übrigens verstieg sich der
Fürst gegen Ende dazu, ein paar sehr komische Anekdoten zu erzählen,
über die er selbst zuallererst lachte, so daß die andern nun mehr über
sein fröhliches Lachen als über die Anekdoten selbst lachten. Was
Aglaja anlangte, so redete sie den ganzen Abend über fast gar nicht;
dafür hörte sie, wenn Ljow Nikolajewitsch sprach, zu, ohne die Augen
von ihm abzuwenden; es schien sogar, wie wenn ihr das Ansehen noch
wichtiger sei als das Zuhören.
»Sie sieht ihn fortwährend an und wendet kein Auge von ihm; nach
jedem Wort von ihm hascht sie ordentlich und klammert sich daran fest!«
sagte Lisaweta Prokofjewna nachher zu ihrem Gatten. »Aber wenn man ihr
sagt, daß sie ihn liebt, dann ist der Teufel los!«
»Was ist zu machen? Es ist nun einmal ihr Schicksal!« erwiderte der General achselzuckend.
Noch mehrmals wiederholte er diese seine Lieblingsredensart. Wir
wollen noch hinzufügen, daß ihm als einem Geschäftsmann ebenfalls an
der augenblicklichen Lage der Dinge vieles sehr mißfiel, namentlich die
herrschende Unklarheit; aber auch er entschied sich vorläufig dafür, zu
schweigen und ... nach Lisaweta Prokofjewnas Augen zu blicken.
Die freudige Stimmung der Familie hielt nicht lange vor. Schon am
folgenden Tag zankte sich Aglaja wieder mit dem Fürsten, und das setzte
sich ohne Unterbrechung an allen folgenden Tagen fort. Ganze Stunden
lang machte sie den Fürsten lächerlich und behandelte ihn beinah wie
einen Hausnarren. Allerdings saßen sie manchmal eine oder zwei Stunden
lang zusammen in einer Laube des Hausgärtchens; aber die andern
beobachteten, daß der Fürst während dieser Zeit Aglaja fast immer aus
der Zeitung oder aus einem Buch vorlas.
»Wissen Sie«, sagte Aglaja einmal zu ihm, indem sie ihn beim
Vorlesen der Zeitung unterbrach, »ich habe bemerkt,
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