Der Idiot
und
leistete eilig und beinah in Angst dem Ruf seiner Tochter Folge.
Er fand folgende Gruppe vor: seine Gattin und Aglaja lagen sich in
den Armen und benetzten einander mit ihren Tränen. Es waren Tränen der
Glückseligkeit, der Rührung und der Versöhnung. Aglaja küßte ihrer
Mutter die Hände, die Wangen, die Lippen; beide schmiegten sich in
warmer Empfindung aneinander.
»Also da ist sie, sieh sie an, Iwan Fjodorowitsch! Da hast du sie
jetzt ganz, wie sie ist!« sagte Lisaweta Prokofjewna. Aglaja wandte ihr
glückseliges, verweintes Gesichtchen von der Brust der Mutter weg,
blickte den Papa an, lachte laut auf, sprang zu ihm hin, umarmte ihn
herzlich und küßte ihn mehrmals. Dann stürzte sie wieder zur Mutter hin
und verbarg ihr Gesicht völlig an deren Brust, so daß es niemand mehr
sehen konnte, und begann gleich wieder zu weinen. Lisaweta Prokofjewna
schlug das Ende ihres Schaltuches um sie herum.
»Aber was in aller Welt richtest du uns denn nur an, du grausames
Mädchen; denn so muß man dich nach solchem Benehmen nennen!« sagte sie,
aber in freudigem Ton, als ob sie jetzt leichter atme.
»Ich bin grausam, ja, ich bin grausam!« fiel Aglaja ein. »Ich bin
unartig! Ich bin unartig! Ich bin verzogen! Sagen Sie es unserm Papa!
Ach, er ist ja hier. Papa, sind Sie hier? Hören Sie doch!« rief sie
unter Tränen lachend.
»Du mein liebes Kind, mein Abgott!« rief der General und küßte ihr
strahlend vor Glückseligkeit die Hand, die Aglaja ihm nicht entzog.
»Also du liebst diesen jungen Mann?«
»Nein, nein, nein! Ich kann Ihren jungen Mann nicht leiden, ich kann
ihn nicht leiden!« rief Aglaja plötzlich aufbrausend und hob den Kopf
in die Höhe. »Und wenn Sie, Papa, es noch einmal wagen ... ich sage
Ihnen das ganz im Ernst; hören Sie wohl: ganz im Ernst!«
Sie sprach wirklich im Ernst; sie war ganz rot geworden, und ihre
Augen blitzten. Der Papa schwieg erschrocken; aber Lisaweta Prokofjewna
machte ihm, von Aglaja unbemerkt, ein Zeichen, und er verstand, was es
bedeuten sollte: »Frage nicht weiter!«
»Wenn es so steht, mein Engel, nun, dann wie du willst, meinetwegen;
er wartet dort allein; sollen wir ihm nicht auf zarte Weise andeuten,
daß er fortgehen möchte?«
Dabei blinkte der General seinerseits seiner Gattin zu.
»Nein, nein, das ist nicht nötig, noch dazu, wenn es ›auf zarte
Weise‹ geschieht. Gehen Sie nur selbst zu ihm hin; ich werde dann auch
kommen, gleich darauf. Ich will diesen ... diesen jungen Mann um
Entschuldigung bitten; denn ich habe ihn gekränkt.«
»Und gar sehr hast du ihn gekränkt«, stimmte Iwan Fjodorowitsch ihr ernst bei.
»Nun, dann ... bleibt lieber alle hier, und ich werde zuerst allein
hingehen; kommt mir dann gleich nach, in einer Sekunde! So wird es das
beste sein!«
Sie war schon bis zur Tür gegangen, drehte sich aber plötzlich wieder um.
»Ich werde loslachen! Ich werde vor Lachen sterben!« sagte sie traurig.
Aber in demselben Augenblick wandte sie sich um und lief zum Fürsten hin.
»Nun, was soll das alles heißen? Wie denkst du darüber?« fragte Iwan Fjodorowitsch rasch.
»Ich fürchte mich, es auszusprechen«, erwiderte Lisaweta Prokofjewna
ebenso schnell. »Aber meiner Ansicht nach ist die Sache klar!«
»Auch nach meiner Ansicht ist sie klar. Klar wie der Tag. Sie liebt.«
»Und nicht genug, daß sie liebt, sie ist sogar verliebt!« erklärte Alexandra Iwanowna. »Aber in wen denn nun eigentlich?«
»Gott segne sie, wenn das nun einmal ihr Schicksal ist!« sagte Lisaweta Prokofjewna, sich fromm bekreuzend.
»Es ist also ihr Schicksal«, stimmte ihr der General bei, »und seinem Schicksal kann man nicht entgehen!«
Alle gingen in den Salon; dort wartete ihrer eine neue Überraschung.
Aglaja lachte, als sie zu dem Fürsten herantrat, nicht los, wie sie das
befürchtet hatte, sondern sagte im Gegenteil schüchtern zu ihm:
»Verzeihen Sie einem dummen, schlechten, verzogenen Mädchen« (sie
ergriff seine Hand), »und seien Sie überzeugt, daß wir alle Sie
außerordentlich hochschätzen! Und wenn ich Ihr schönes, gutes,
schlichtes Wesen zu verspotten wagte, so bitte ich Sie, es mir zu
verzeihen, wie man einem Kind eine Unart verzeiht; verzeihen Sie, daß
ich ein törichtes Benehmen so lange fortsetzte, das natürlich nicht die
geringsten Folgen haben kann ...«
Die letzten Worte sprach Aglaja mit besonderem Nachdruck.
Der Vater, die Mutter und die Schwestern kamen alle noch früh genug
in den Salon, um dies alles zu sehen und
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