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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski
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grob ist der Egoismus dieser Leute,
den sie trotzdem an sich gar nicht wahrzunehmen vermögen ...! Haben
Sie, Fürst, einmal etwas von dem Tod Stepan Glebows im achtzehnten
Jahrhundert gelesen? Ich las zufällig gestern etwas darüber ...«
    »Was ist das für ein Stepan Glebow?«
    »Er wurde unter Peter dem Großen gepfählt.«
    »Ach mein Gott, ja, ich weiß! Er steckte fünfzehn Stunden lang am
Pfahl, in der Kälte, nur mit einem Pelz bekleidet, und starb in der
großherzigsten Gesinnung; gewiß, ich habe es gelesen ... Aber was soll
das hier?«
    »Manchem beschert Gott einen solchen Tod, aber unsereinem nicht! Sie
meinen vielleicht, ich sei nicht imstande, so zu sterben wie Glebow?«
    »Oh, das meine ich ganz und gar nicht«, erwiderte der Fürst
verlegen; »ich wollte nur sagen, daß Sie ... das heißt, nicht als ob
Sie Glebow es nicht gleichtun würden, sondern ... daß Sie ... daß Sie
dann vielmehr ...«
    »Ich errate es: Sie meinen, ich würde ein Osterman 1 sein und kein Glebow? Das wollten Sie sagen?«
    »Was für ein Osterman?« fragte der Fürst verwundert.
    »Osterman, der Diplomat Osterman zur Zeit Peters des Großen«,
murmelte Ippolit, der auf einmal etwas verlegen wurde. Der Fürst
verstand ihn nicht sofort.
    »O n-n-nein!« sagte er dann nach einigem Stillschweigen, indem er
das Wort dehnte. »Ich möchte meinen ... Sie würden nie ein Osterman
sein.«
    Ippolit machte ein finsteres Gesicht.
    »Ich behaupte das übrigens deshalb«, fuhr der Fürst in dem
offensichtlichen Bestreben, sich zu verbessern, fort, »weil die
damaligen Menschen (ich kann versichern, daß mir das von jeher
aufgefallen ist) sozusagen nicht dieselben Menschen waren wie die
jetzigen, nicht derselbe Schlag wie jetzt in unserm Jahrhundert,
wirklich wie eine andere Rasse ... Damals waren die Menschen von einer
einzigen Idee erfüllt; jetzt sind sie nervöser, mehr entwickelt,
sensitiver, mit zwei, drei Ideen gleichzeitig beschäftigt ... Der
jetzige Mensch ist vielseitiger, und nach meiner Überzeugung hindert
ihn das, ein so einheitlicher Mensch zu sein, wie es die Angehörigen
jener Jahrhunderte waren ... Ich ... ich habe das nur deswegen gesagt,
und nicht ...«
    »Ich verstehe; um die Naivität wiedergutzumachen, mit der Sie
anderer Meinung waren als ich, versuchen Sie mich jetzt zu trösten,
haha! Sie sind das reine Kind, Fürst! Ich bemerke jedoch, daß Sie alle
mich wie ... wie eine Porzellantasse behandeln ... Nun, das tut nichts,
das tut nichts; ich nehme es nicht übel. Jedenfalls hat sich das
Gespräch zwischen uns recht komisch gestaltet; Sie sind manchmal noch
völlig Kind, Fürst. Lassen Sie sich übrigens sagen, daß ich vielleicht
gewünscht habe, noch etwas Besseres zu sein als ein Osterman; um ein
Osterman zu sein, würde es sich nicht lohnen, von den Toten
aufzuerstehen ... Aber ich sehe ein, daß ich gut tun werde, möglichst
bald zu sterben, sonst werde ich selbst ... Lassen Sie mich nur in
Ruhe! Auf Wiedersehen! Nun gut, dann sagen Sie mir einmal selbst, wie
ich nach Ihrer Meinung am besten sterben würde ... damit es möglichst
tugendhaft herauskommt, meine ich. Nun, so reden Sie!«
    »Gehen Sie an uns vorbei, und verzeihen Sie uns unser Glück!« sagte der Fürst mit leiser Stimme.
    »Hahaha! Hatte ich es mir doch gedacht! Ich habe erwartet, daß
unfehlbar so etwas kommen würde! Aber Sie ... aber Sie ... Nun ja,
schöne Phrasen haben diese Leute immer zur Hand! Auf Wiedersehen! Auf
Wiedersehen!«
Fußnoten
    1 Er
wurde im Jahre 1742 zum Tode durch das Rad verurteilt; doch wurde die
Strafe in lebenslängliche Verbannung nach Sibirien verwandelt. (A.d.Ü.)

VI
    Was Warwara Ardalionowna ihrem Bruder von der Abendgesellschaft
gesagt hatte, die im Jepantschinschen Landhaus stattfinden sollte, und
zu der die alte Bjelokonskaja erwartet wurde, erwies sich ebenfalls als
völlig richtig; die Gäste wurden wirklich am Abend eben dieses Tages
erwartet; aber auch bei dieser Mitteilung hatte sie sich etwas
bestimmter ausgedrückt, als sie hätte tun sollen. Allerdings war die
Abendgesellschaft sehr eilig und sogar mit einer gewissen, anscheinend
sehr unnötigen Erregung arrangiert worden, eben deshalb, weil in dieser
Familie »alles anders zuging wie bei andern Leuten«. Dies erklärte sich
aus Lisaweta Prokofjewnas Ungeduld, die »aus dem Zustand des Zweifelns
herauszukommen« wünschte, und aus der heißen Sorge der beiden
Elternherzen um das Glück ihrer Lieblingstochter. Außerdem
beabsichtigte die alte Bjelokonskaja

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