Frauen al dente. (German Edition)
Kapitel 1
»… Herr Weber wird uns gegen Ende des Jahres verlassen. Könnten Sie sich vorstellen, wer für seine Nachfolge in Frage kommt?«
»Ich!« rutschte es Marlen Sommer heraus. Sie war verantwortliche Redakteurin für den Bereich Reportagen bei der Frauenzeitschrift
pleasure.
Im selben Augenblick brach ihr vor lauter Aufregung auch schon der Schweiß aus, und ihr Herz schlug mindestens drei Takte schneller als sonst. Das Vier-Augen-Gespräch im Büro ihrer Chefin entwickelte eine überraschende Dynamik. Angelika Weigold,
pleasure
-Chefredakteurin, hatte sie mit dieser Frage völlig überrumpelt. Zwar munkelten Insider schon seit einiger Zeit hinter vorgehaltener Hand, der stellvertretende Chefredakteur habe ein lukratives Angebot von einem Privatsender erhalten, doch solche Gerüchte gehörten zum Redaktionsalltag. Lichtblicke im täglichen Einerlei der Routinearbeit.
Angelika Weigold beobachtete Marlen schmunzelnd. Selbstverständlich hatte sie damit gerechnet, daß ihre junge Kollegin den Hut in den Ring werfen würde. Marlen brannte vor Ehrgeiz. Und sie schrieb gut, sogar verdammt gut. Hervorragende Recherchen und eine flüssige, anschauliche Schreibe prägten ihren ganz persönlichen Stil. Doch leider ließ sie sich noch zu häufig von ihren Emotionen mitreißen, selbst dann, wenn eigentlich journalistische Abgeklärtheit gefragt war. Doch mit zunehmendem Alter und wachsender menschlicher Reife würde sie zu den Top-Journalistinnen in Deutschland zählen, da war Angelika Weigold sich sicher.
»Sie wissen, was ein solcher Job mit sich bringt? Einsatz, Einsatz und noch einmal Einsatz. Wie alt sind Sie?«
Irritiert schlug Marlen die Beine übereinander. »Mitte Dreißig.« Angelika Weigold sondierte das Terrain, soviel stand fest, doch welche Antworten wollte sie hören? Vermutlich nicht, daß Marlen von Ehe und Kindersegen träumte. »Und bevor Sie weiter fragen«, fuhr sie daher entschlossen fort, »solange ich denken kann, träume ich davon, eines Tages als Chefredakteurin für mein eigenes Blatt verantwortlich zu sein …«
»… Sie haben es also auf meine Position abgesehen, mit anderen Worten?!« warf die Weigold ein, wobei ein süffisantes Lächeln um ihre Lippen spielte.
Nervös bemerkte Marlen ihren Schnitzer. Prompt begannen rote, unangenehm juckende Flecken ihren Hals hinaufzukriechen. Zum Glück würden sie unter dem buntgeblümten Seidentuch, das sie über dem Blazer trug, für die Weigold unsichtbar bleiben. Die war und blieb eben ein alter Drachen. Die winzigste Blöße reizte sie zum Angriff. Doch in Marlen sollte sie sich getäuscht haben. So rasch ließ sie sich nun auch wieder nicht ins Boxhorn jagen.
»Ich habe nicht gesagt, daß ich
Ihren
Platz einnehmen möchte. Aber wie jeder Mensch habe ich meine Träume. Und der Weg nach oben führt nun mal über die Stellvertretung. Einmal ganz davon abgesehen, daß ich für den Job die absolut Beste bin«, schloß sie selbstbewußt. Aber eigentlich hatte sie doch was anderes sagen wollen? Ach ja. »Und Kinder kommen für mich überhaupt nicht in Frage.« Ihre letzten Worte unterstrich sie mit einer energischen Handbewegung. Am liebsten hätte sie noch hinzugefügt, daß sie nicht wie ihre Mutter Büro gegen Herd tauschen wollte. Um später dann bei ihrer Tochter ewige Dankbarkeit einzufordern … Doch was ging die Weigold ihre Familiengeschichte an?
»Falsche Bescheidenheit gehört jedenfalls nicht zu Ihren Fehlern«, entgegnete diese. »Sie scheinen zu wissen, was Sie wollen. Mich brauchen Sie allerdings nicht vonIhren Fähigkeiten zu überzeugen, ich kenne ihren Wert. Im Gegensatz zu den Herren im Vorstand, die über Ihre Bewerbung zu entscheiden haben.« Dann schrieb sie in großen, fließenden Buchstaben auf ein Blatt Papier.
»Vermutlich haben außer mir noch andere Kollegen Interesse an der Stelle?« versuchte Marlen ihre Chancen auszuloten.
Doch die Weigold ließ sich nicht aus der Reserve locken. Statt dessen reichte sie Marlen das Blatt Papier, auf dem nun das Wort ›Umstrukturierung‹ zu lesen war. »Hierüber sollten Sie sich Gedanken machen, wenn Sie sich ernsthaft bewerben wollen. Unsere Abonnentenzahlen sinken. Der Vorstand erwägt die Umstrukturierung von
pleasure.
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