Der Idiot
hastig und erschrocken der Fürst und sah Rogoschin an.
»Es geht jemand! Hörst du? Im Saal ...«
Beide begannen zu horchen.
»Ich höre es«, flüsterte der Fürst in festem Ton.
»Geht jemand?«
»Ja.«
»Wollen wir die Tür zuschließen oder nicht?«
»Wir wollen sie zuschließen ...«
Sie schlossen die Tür zu und legten sich beide wieder hin. Sie schwiegen lange.
»Ach ja!« flüsterte der Fürst auf einmal in der früheren
aufgeregten, hastigen Manier, wie wenn er wieder einen Gedanken
erhascht hätte und ängstlich befürchtete, ihn wieder zu verlieren; er
sprang sogar auf seinem Lager ein wenig in die Höhe. »Ja ... ich wollte
ja ... diese Karten! Die Karten! Ich höre, du hast mit ihr Karten
gespielt?«
»Ja, das habe ich getan«, erwiderte Rogoschin nach einigem Stillschweigen.
»Wo sind denn ... die Karten?«
»Die Karten sind hier ...«, versetzte Rogoschin, nachdem er noch länger geschwiegen hatte. »Da ...«
Er zog ein gebrauchtes, in Papier gewickeltes Spiel Karten aus der
Tasche und reichte es dem Fürsten. Dieser nahm es, aber mit einer Art
von Befremden. Ein neues, trauriges, trostloses Gefühl schnürte ihm das
Herz zusammen; er wurde sich auf einmal bewußt, daß er in diesem
Augenblick und schon längst immer nicht von dem redete, wovon er reden
mußte, und immer nicht das tat, was er tun mußte, und daß diese Karten,
die er in den Händen hielt, und über die er sich so freute, jetzt zu
nichts helfen konnten, zu gar nichts. Er stand auf und schlug die Hände
zusammen. Rogoschin lag da, ohne sich zu rühren, und schien seine
Bewegung weder zu hören noch zu sehen; aber seine Augen leuchteten hell
durch die Dunkelheit und waren weit geöffnet und starr. Der Fürst
setzte sich auf einen Stuhl und begann ihn angstvoll anzusehen. So
verging etwa eine halbe Stunde; auf einmal fing Rogoschin an, laut und
stoßweise zu schreien und zu lachen, wie wenn er vergessen hätte, daß
sie nur flüsternd reden durften: »Den Offizier, den Offizier ...
erinnerst du dich, wie sie den Offizier beim Konzert mit dem
Spazierstöckchen ins Gesicht schlug, erinnerst du dich? Hahaha! Und wie
der Leutnant hinzusprang ... Der Leutnant ... der Leutnant ...«
Der Fürst sprang in neuem Schrecken vom Stuhl auf. Als Rogoschin
verstummt war (und das geschah plötzlich), beugte sich der Fürst leise
zu ihm herab, setzte sich neben ihn und begann mit stark klopfendem
Herzen und nur mühsam atmend ihn zu betrachten. Rogoschin drehte den
Kopf nicht zu ihm hin und schien seine Anwesenheit ganz vergessen zu
haben. Der Fürst sah ihn an und wartete; die Zeit verging; es begann
hell zu werden. Rogoschin fing mitunter plötzlich an zu murmeln, laut,
scharf und unzusammenhängend; er schrie und lachte; der Fürst streckte
dann seine zitternde Hand nach ihm aus und berührte leise seinen Kopf
und sein Haar, streichelte dieses und streichelte seine Wangen ... mehr
vermochte er nicht zu tun! Er selbst begann wieder zu zittern, und
seine Beine waren auf einmal wieder wie gelähmt. Eine ganz neue
Empfindung quälte sein Herz mit grenzenlosem Kummer. Unterdessen war es
ganz hell geworden; er legte sich endlich ganz kraftlos und verzweifelt
auf das Kissen und schmiegte sein Gesicht an das blasse, regungslose
Gesicht Rogoschins. Tränen strömten aus seinen Augen auf Rogoschins
Wangen; aber vielleicht fühlte er damals schon seine eigenen Tränen
nicht mehr und wußte nichts mehr von ihnen; wenigstens wies der weitere
Verlauf darauf hin.
Als viele Stunden nachher die Tür geöffnet wurde und Leute
hereinkamen, fanden sie den Mörder in voller Bewußtlosigkeit und in
starkem Fieber. Der Fürst saß, ohne sich zu rühren, neben ihm auf dem
Lager und fuhr jedesmal, wenn der Kranke aufschrie oder zu phantasieren
begann, ihm mit seiner zitternden Hand eilig über das Haar und die
Wangen, wie wenn er ihn liebkosen und beruhigen wollte. Aber er
verstand nicht mehr, wonach man ihn fragte, und erkannte nicht mehr die
Leute, die hereingekommen waren und ihn umringten. Und wenn Schneider
selbst jetzt aus der Schweiz gekommen wäre, um sich seinen ehemaligen
Schüler und Patienten anzusehen, so würde er in Erinnerung an den
Zustand, in dem sich der Fürst manchmal im ersten Jahr seiner Kur in
der Schweiz befunden hatte, jetzt eine verzweifelte Handbewegung
gemacht und wie damals gesagt haben: »Ein Idiot!«
Schluß
Als die Lehrerwitwe eilig in einem Wagen nach Pawlowsk gefahren war,
hatte sie sich direkt zu der durch die Ereignisse des
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