Der Idiot
aufforderte. Er war augenscheinlich beruhigt, als er sah,
daß der Fürst ihn verstanden hatte und nicht von dem andern Trottoir zu
ihm herüberkam. Dem Fürsten ging der Gedanke durch den Kopf, daß
Rogoschin wohl nach jemand Ausschau halten und ihn nicht auf der Straße
unbemerkt vorbeipassieren lassen wolle und darum nach dem andern
Trottoir hinübergegangen sei. »Aber warum hat er denn nicht gesagt,
nach wem er Ausschau hält?« fragte er sich. So gingen sie etwa
fünfhundert Schritte, und auf einmal begann der Fürst aus irgendeinem
Grund zu zittern; Rogoschin sah sich immer noch um, wiewohl jetzt
seltener; der Fürst konnte seine Angst nicht mehr ertragen und winkte
ihm mit der Hand. Der kam sofort über die Straße zu ihm herüber.
»Ist Nastasja Filippowna etwa bei dir?«
»Ja, sie ist bei mir.«
»Hast du vorhin hinter dem Rouleau hervor nach mir durchs Fenster gesehen?«
»Ja.«
»Warum hast du denn ...«
Aber der Fürst wußte nicht, was er weiter fragen und wie er seine
Frage schließen sollte; auch schlug ihm das Herz so heftig, daß ihm das
Sprechen schwer fiel. Rogoschin schwieg ebenfalls und blickte ihn wie
früher an, das heißt wie in Gedanken versunken.
»Nun, dann werde ich wieder weggehen«, sagte er auf einmal, indem er
sich anschickte, wieder hinüberzugehen; »und du geh für dich! Wir
wollen auf der Straße getrennt gehen ... es ist besser so ... auf
verschiedenen Seiten ... du wirst schon sehen.«
Als sie endlich auf den zwei verschiedenen Trottoirs in die
Gorochowaja-Straße einbogen und sich dem Haus Rogoschins näherten,
wurden dem Fürsten wieder die Beine so schwach, daß er nur mit großer
Mühe gehen konnte. Es war schon gegen zehn Uhr abends. Die Fenster in
der Wohnungshälfte der alten Mutter standen wie vorhin offen, in der
Rogoschinschen Hälfte waren sie geschlossen, und in der Abenddämmerung
waren an ihnen die heruntergelassenen weißen Rouleaus noch auffälliger.
Der Fürst näherte sich dem Haus auf dem gegenüberliegenden Trottoir;
Rogoschin trat von seinem Trottoir auf die Stufen vor der Haustür und
winkte ihm mit der Hand. Der Fürst ging zu ihm hinüber und stieg die
Stufen hinan.
»Daß ich nach Hause zurückgekommen bin, weiß jetzt nicht einmal der
Hausknecht. Ich habe ihm vorhin gesagt, ich führe nach Pawlowsk, und
bei meiner Mutter habe ich es ebenfalls gesagt«, flüsterte er mit einem
schlauen, selbstzufriedenen Lächeln. »Wenn wir hineingehen, wird es
niemand hören.«
Er hatte schon den Schlüssel in der Hand. Während er die Treppe
hinaufstieg, drehte er sich um und machte dem Fürsten eine drohende
Gebärde, er solle leiser gehen, schloß leise die Tür zu seiner Wohnung
auf, ließ den Fürsten hinein, folgte ihm vorsichtig, schloß die Tür
hinter sich zu und steckte den Schlüssel in die Tasche.
»Komm!« sagte er flüsternd.
Schon von dem Trottoir in der Litejnaja-Straße an hatte er im
Flüsterton gesprochen. Trotz all seiner äußeren Ruhe befand er sich in
tiefer innerlicher Erregung. Als sie in den vor seinem Arbeitszimmer
gelegenen Saal traten, ging er ans Fenster und winkte den Fürsten
geheimnisvoll zu sich heran.
»Als du vorhin bei mir klingeltest, dachte ich mir gleich, daß du es
selbst wärst; ich ging auf den Zehen an die Tür und hörte, daß du mit
der alten Pafnutjewna sprachst. Aber ich hatte der schon ganz früh am
Morgen Befehl gegeben: wenn du oder irgendein Abgesandter von dir oder
sonst jemand bei mir klopfen sollte, dann solle sie mich unter allen
Umständen verleugnen; und besonders wenn du selbst kämst und nach mir
fragtest und ihr deinen Namen angäbest. Aber als du dann weggegangen
warst, kam mir der Gedanke: wie, wenn er jetzt dasteht und hersieht
oder auf der Straße Wache hält? Ich ging zu eben diesem Fenster hier,
schob das Rouleau ein wenig zurück, sah hinaus, und da standest du und
sahst mich gerade an ... So ist das hergegangen.«
»Wo ist aber ... Nastasja Filippowna?« fragte der Fürst, nur mühsam atmend.
»Sie ist ... hier«, erwiderte Rogoschin langsam, nachdem er einen Augenblick mit der Antwort gewartet hatte.
»Wo denn?«
Rogoschin hob die Augen zum Fürsten in die Höhe und blickte ihn fest an.
»Komm mit ...«
Er sprach immer flüsternd und ohne sich zu beeilen, langsam und wie
früher in einer sonderbaren Weise nachdenklich. Selbst als er die
Geschichte von dem Rouleau erzählte, machte es den Eindruck, als wolle
er mit seiner Erzählung trotz aller Mitteilsamkeit etwas ganz anderes
zum
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