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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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wurde sie plötzlich dunkelrot und versank in Nachdenken. Es würde uns schwer sein, den Gang ihrer Gedanken aufzuzeichnen. Unter anderm fragte sie sich: »Soll ich den Brief jemandem zeigen?« Sie schämte sich dessen gewissermaßen. Schließlich warf sie den Brief mit einem sonderbaren, spöttischen Lächeln in den Schubkasten ihres Nähtisches. Am folgenden Tag nahm sie ihn wieder heraus und legte ihn in ein dickes, stark in Halbfranz gebundenes Buch (so machte sie es immer mit ihren Briefschaften, um sie recht schnell zu finden, sobald sie sie gebrauchte). Erst eine Woche darauf sah sie zufällig, was es eigentlich für ein Buch war, in dem dieser Brief lag. Es war der ›Don Quijote de la Mancha‹. Aglaja lachte laut auf; es ist schwer zu sagen, warum.
    Auch wissen wir nicht zu sagen, ob sie den Brief einer ihrer Schwestern zeigte.
    Aber gleich bei der Lektüre des Briefes war ihr der Gedanke durch den Kopf gegangen: hat sich denn wirklich der Fürst diesen eingebildeten, großtuerischen Jungen dazu ausersehen, mit ihm Briefe zu wechseln, und ist dieser Junge vielleicht am Ende gar der einzige Mensch, mit dem der Fürst hier in Korrespondenz steht? So nahm sie denn eine sehr geringschätzige Miene an und unterwarf Kolja einem Verhör. Aber der sonst immer sehr empfindliche »Junge« beachtete diesmal diese Geringschätzung nicht im mindesten; sehr kurz und in recht trockenem Ton erklärte er der Fragerin, er habe zwar bei der Abreise des Fürsten von Petersburg diesem für jeden Fall seine ständige Adresse mitgeteilt und ihm dabei seine Dienste angeboten; aber dies sei der erste Auftrag, den er von ihm empfangen habe, und das erste Schreiben desselben; und zum Beweis der Wahrheit des Gesagten zeigte er ihr auch den Brief, den er selbst von dem Fürsten erhalten hatte. Aglaja machte sich kein Gewissen daraus, ihn zu lesen. In diesem Brief an Kolja stand:
     
    »Lieber Kolja, seien Sie so gut, den hier beiliegenden Brief an Aglaja Iwanowna abzugeben. Bleiben Sie hübsch gesund!
    Ihr Sie liebender Fürst L. Myschkin.«
     
    »Es ist doch komisch, daß er sich einen solchen Knirps zum Vertrauten aussucht«, bemerkte Aglaja in beleidigendem Ton, gab Kolja den Brief zurück und ging geringschätzig an ihm vorbei.
    Das war nun doch mehr, als Kolja ertragen konnte. Und er hatte noch gerade für diesen Besuch seinen Bruder Ganja, ohne ihm den Grund zu erklären, gebeten, ob er nicht dessen noch ganz neue grüne Krawatte umbinden dürfe! Er fühlte sich bitter gekränkt.
     
II
     
    Es war Anfang Juni, und das Wetter war in Petersburg schon eine ganze Woche lang außerordentlich schön gewesen. Jepantschins besaßen ein prächtiges eigenes Landhaus in Pawlowsk. Lisaweta Prokofjewna bekam es auf einmal mit der Unruhe und trieb zum Aufbruch; nach kaum zwei Tagen geschäftiger Tätigkeit zogen sie um.
    Einen oder zwei Tage nach dem Umzug der Familie Jepantschin traf Fürst Ljow Nikolajewitsch Myschkin mit dem Morgenzug aus Moskau ein. Es war niemand zu seinem Empfang auf dem Bahnhof erschienen; aber beim Aussteigen aus dem Waggon kam es ihm auf einmal so vor, als ob aus der Menge, die die mit dem Zug Angekommenen umdrängte, der seltsame, brennende Blick zweier Augen auf ihn gerichtet sei. Als er jedoch aufmerksamer hinschaute, konnte er nichts mehr wahrnehmen. Gewiß war es ihm nur so vorgekommen; aber es blieb doch bei ihm eine unangenehme Empfindung zurück. Zudem war der Fürst auch ohnedies traurig und nachdenklich und schien aus irgendeinem Grund in Sorge zu sein.
    Ein Droschkenkutscher fuhr ihn nach einem Gasthof in der Litejnajastraße. Das Gasthaus war sehr gering. Der Fürst erhielt zwei kleine, dunkle, schlecht möblierte Zimmer, wusch sich und kleidete sich um; dann ging er, ohne etwas zu genießen, eilig aus, wie wenn er Zeit zu verlieren oder jemanden nicht zu Hause zu treffen fürchtete.
    Wenn einer von den Leuten, die ihn vor einem halben Jahr bei seinem ersten Aufenthalt in Petersburg kennengelernt hatten, ihn jetzt gesehen hätte, so würde er vielleicht gefunden haben, daß sein Äußeres sich sehr vorteilhaft verändert habe. Und doch war das kaum der Fall. Nur die Kleidung war eine völlig andere geworden: er trug jetzt einen in Moskau von einem guten Schneider gearbeiteten Anzug; aber dieser Anzug hatte einen Fehler: er war gar zu sehr nach der Mode angefertigt (wie das gewissenhafte, aber nicht sehr talentvolle Schneider immer machen), und noch dazu für einen Menschen, der darauf nicht den

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