Der Idiot
Bisherige wäre noch nichts; aber nun kommt etwas, was wirklich unverzeihlich und durch keine interessante Krankheit zu entschuldigen ist: dieser Millionär, der kaum die Gamaschen seines Professors ausgezogen hatte, konnte nicht einmal so viel kapieren, daß der edeldenkende junge Mann, der sich mit Privatstunden quälte, ihn nicht um ein Almosen und eine Unterstützung bat, sondern sein Recht forderte, dasjenige verlangte, was ihm zustand, wenn auch nicht im gerichtlichen Sinne; und ebensowenig wußte der Millionär es zu würdigen, daß der junge Mann seine Ansprüche nicht persönlich erhob, sondern nur seine Freunde für ihn eintraten. Mit majestätischer Miene, berauscht von der durch seine Millionen ihm zugefallenen Macht, andere Menschen ungestraft niederzutreten, zieht unser Edeling einen Fünfzigrubelschein heraus und ist frech genug, ihn dem edeldenkenden jungen Mann als Almosen zu schicken. Sie glauben es nicht, meine Herren? Sie sind empört, beleidigt und stoßen einen Schrei der Entrüstung aus: aber trotz alledem hat er es getan! Selbstverständlich wurde ihm das Geld sogleich zurückgeschickt, sozusagen ihm ins Gesicht zurückgeschleudert. Wie soll nun die Sache erledigt werden? Gerichtlich verfolgen läßt sie sich nicht; es bleibt nur der Weg der Öffentlichkeit übrig! Wir übergeben daher dieses Geschichtchen dem Publikum, indem wir uns für seine Richtigkeit verbürgen. Man sagt, einer unserer bekanntesten Humoristen habe darüber ein reizendes Epigramm verfaßt, das nicht nur in den provinziellen, sondern auch in den hauptstädtischen Sittenschilderungen eine Stelle zu finden verdient:
In 'nem Mäntelchen von Schneider 2
Spielte Ljow 3 fünf Jahr herum;
Unterdessen wurde leider
Nichts aus seinem Studium.
Heimgekehrt drauf in Gamaschen,
Erbt' er glücklich 'ne Million
Und bestahl trotz voller Taschen
Einen armen Musensohn.«
Als Kolja geendet hatte, reichte er die Zeitschrift so schnell wie möglich dem Fürsten hin, stürzte, ohne ein Wort zu sagen, in eine Ecke, drückte sich dicht hinein und verbarg das Gesicht in den Händen. Er schämte sich in einem unerträglichen Grade, und sein kindliches, an Schmutz noch nicht gewöhntes Empfinden war maßlos verletzt. Es schien ihm, als sei etwas ganz Ungewöhnliches vorgegangen, als sei alles Bestehende dadurch auf einmal niedergerissen, und als sei er selbst beinah mit daran schuld, schon allein dadurch, daß er es laut vorgelesen habe.
Aber auch alle übrigen schienen Ähnliches zu empfinden.
Die jungen Mädchen fühlten sich sehr unbehaglich und schämten sich. Lisaweta Prokofjewna hielt einen heftigen Zorn gewaltsam zurück und bereute es wohl bitter, sich in die Sache eingelassen zu haben; jetzt schwieg sie. Mit dem Fürsten ging dasselbe vor, was allzu schüchternen Menschen in solchen Fällen zu begegnen pflegt: er schämte sich dermaßen über das Benehmen anderer, nämlich seiner Gäste, daß er sich im ersten Augenblick fürchtete, sie auch nur anzusehen. Ptizyn, Warja, Ganja, sogar Lebedjew, alle machten etwas verlegene Gesichter. Das Sonderbarste war, daß Ippolit und »Pawlischtschews Sohn« ebenfalls erstaunt zu sein schienen; auch Lebedjews Neffe war offenbar unzufrieden. Nur der Boxer saß ganz ruhig da und drehte mit würdevoller Miene seinen Schnurrbart; die Augen hielt er niedergeschlagen, aber nicht aus Verlegenheit; im Gegenteil schien es, als tue er es aus edler Bescheidenheit, und um sein Triumphgefühl nicht allzu sichtbar werden zu lassen. An allem konnte man merken, daß der betreffende Artikel ihm sehr gut gefiel.
»Weiß der Teufel, was das vorstellen soll«, brummte Iwan Fjodorowitsch halblaut. »Das ist ja, als hätten fünfzig Lakaien sich zusammengetan und das abgefaßt.«
»Gestatten Sie die Frage, mein Herr, wie Sie es wagen können, uns durch solche Vermutungen zu beleidigen?« fragte Ippolit, am ganzen Leibe zitternd.
»Das, das, das ist für einen anständigen Menschen ... Sagen Sie selbst, General, wenn ein anständiger Mensch ... so ist das doch verletzend!« brummte der Boxer, der gleichfalls auf einmal zusammenfuhr, seinen Schnurrbart drehte, und mit den Schultern und dem ganzen Oberkörper zuckte.
»Erstens bin ich für Sie nicht ›mein Herr‹, und zweitens beabsichtige ich Ihnen keinerlei Erklärungen zu geben«, erwiderte der höchst ergrimmte Iwan Fjodorowitsch in scharfem Ton, stand auf, ging, ohne ein weiteres Wort zu sagen, zum Ausgang der Veranda und stellte sich dort auf die
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