Der Idiot
eine unbestimmte Ungeduld zum Ausdruck; sein Blick irrte ziellos von einem Gegenstand zum andern, von einer Person zur andern. Er hatte sich zwar an dem gemeinsamen lärmenden Gespräch bisher stark beteiligt; aber sein Eifer hatte etwas Fieberhaftes; im Grunde wendete er dem Gespräch wenig Aufmerksamkeit zu; was er in der Debatte vorbrachte, war unzusammenhängend und klang spöttisch; mit einer gewissen Geringschätzung warf er paradoxe Bemerkungen hin; er sprach seine Gedanken nicht bis zu Ende aus und ließ ein Thema, über das er eine Minute vorher selbst mit glühendem Eifer zu sprechen begonnen hatte, schnell wieder fallen.
Der Fürst erfuhr mit Verwunderung und Bedauern, daß man ihn an diesem Abend schon zwei volle Gläser Champagner ungehindert hatte trinken lassen, und daß das vor ihm stehende angefangene Glas schon das dritte war. Aber er erfuhr dies erst nachher; augenblicklich war er nicht imstande, seine Umgebung genau zu beobachten.
»Wissen Sie, ich freue mich außerordentlich darüber, daß gerade heute Ihr Geburtstag ist!« rief Ippolit.
»Warum denn?«
»Das werden Sie bald sehen; setzen Sie sich nur schnell her! Erstens schon deswegen, weil hier alle unsere Leute zusammengekommen sind. Ich hatte darauf gerechnet, daß Leute hier sein würden; zum erstenmal in meinem Leben hat sich eine von mir angestellte Rechnung als richtig erwiesen! Aber schade, daß ich von Ihrem Geburtstag nichts gewußt habe; sonst hätte ich ein Geschenk mitgebracht ... haha! Ja, vielleicht habe ich aber wirklich eines mitgebracht! Dauert es noch lange, bis es Tag wird?«
»Bis zum Tagesanbruch dauert es nicht mehr ganz zwei Stunden«, sagte Ptizyn nach einem Blick auf die Uhr.
»Wozu braucht es jetzt erst noch Tag zu werden, wo man draußen auch ohne das lesen kann?« bemerkte jemand.
»Damit ich ein Stückchen Rand von der Sonne sehen kann. Kann man auf die Gesundheit der Sonne trinken, Fürst? Wie denken Sie darüber?«
Ippolit stellte seine Fragen in scharfem Ton und wendete sich ungeniert, wie wenn er kommandierte, an alle, schien sich aber dessen selbst nicht bewußt zu sein.
»Trinken wir darauf, meinetwegen! Nur sollten Sie sich beruhigen, Ippolit; nicht?«
»Sie reden immer von Schlafen; Sie sind meine Kinderfrau, Fürst! Sobald die Sonne erscheint und am Himmel ertönt (wer hat das doch in einem Gedicht gesagt: ›Die Sonn' ertönte schon am Himmel‹? Es ist sinnlos, aber schön!) – dann will ich mich schlafen legen. Lebedjew! Die Sonne ist ja wohl die Quelle des Lebens? Was bedeuten die ›Quellen des Lebens‹ in der Offenbarung des Johannes? Sie haben wohl von dem Wermutstern gehört, Fürst?«
»Ich habe gehört, daß Lebedjew diesen Wermutstern als das Eisenbahnnetz erklärt, das Europa überzieht.«
»Nein, erlauben Sie; das ist nicht gestattet!« schrie Lebedjew, indem er aufsprang und lebhaft mit den Armen gestikulierte, wie wenn er das allgemeine Gelächter, das sich erhob, hemmen wollte. »Erlauben Sie! Mit diesen Herren ... all diese Herren ...«, wandte er sich plötzlich an den Fürsten, »das ist in mehreren Punkten gegen die Verabredung; hören Sie nur ...«
Und er schlug sehr ungezwungen zweimal auf den Tisch, wodurch das Gelächter noch ärger wurde.
Lebedjew befand sich nicht nur in seinem gewöhnlichen »Abendzustand«, sondern es kam diesmal auch noch hinzu, daß er durch die vorhergehende lange »gelehrte« Debatte besonders aufgeregt und gereizt war; in solchen Fällen benahm er sich gegen seine Opponenten mit grenzenloser und im höchsten Grade offenherziger Geringschätzung. »Das ist nicht gestattet! Fürst, vor einer halben Stunde haben wir eine Verabredung getroffen: es darf niemand unterbrochen werden; es darf nicht gelacht werden, solange jemand spricht; es soll jeder alles frei heraus sagen dürfen. Nachher können ja auch die Atheisten, wenn sie wollen, ihre Erwiderungen vorbringen. Wir haben den General als Vorsitzenden eingesetzt; jawohl! Denn wie würde es sonst zugehen? Man könnte jeden, der eine hohe Idee, eine tiefsinnige Idee vorbringt, konfus machen ...«
»Reden Sie doch, reden Sie doch! Niemand wird Sie stören!« riefen mehrere.
»Reden Sie; aber reden Sie nicht zu viel Unsinn!«
»Was ist das für ein Wermutstern?« erkundigte sich jemand.
»Ich habe keine Ahnung!« antwortete General Iwolgin und nahm mit wichtiger Miene den ihm vorhin zuerkannten Platz als Vorsitzender ein.
»Ich liebe all diese gereizten Debatten außerordentlich, Fürst,
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