Das Reich der Dunkelheit
I
A RTUROS T RAGÖDIE
D IE DUNKELSTE S EITE der Legende von Arturo Adragón, dem jungen Ritter und Anführer der Schwarzen Armee, der Arquimia schuf, das größte je bekannte Reich der Gerechtigkeit, wurde während des schrecklichen Krieges in Emedia geschrieben. Denn dort ereigneten sich zwei furchtbare Dinge, die ihm das Herz brachen: der Tod von Prinzessin Alexia, noch dazu durch seine eigene Hand, und die verheerende Niederlage seiner Armee.
Fortan wurde sein Leben vom heftigen Wunsch nach Rache beherrscht. Arturo dachte an nichts anderes, als Demónicus zu töten, den er für all das Leid verantwortlich machte. Und daran, sich selbst zu bestrafen, weil er seine Männer enttäuscht und die große Liebe seines Lebens getötet hatte. In seinen Träumen suchten ihn die quälenden Bilder der grausamen Schlacht heim, bei der die Soldaten der Schwarzen Armee durch die vergifteten Waffen der Feinde gestorben, im Feuer der fürchterlichen Drachen umgekommen oder von wilden Bestien zerfleischt worden waren, während er selbst gegen Alexia gekämpft hatte.
Arturo fand seitdem keinen Frieden mehr. In langen, einsamen Stunden bemühte er sich, seine Gedanken zu ordnen und die Gefühle der Wut und Enttäuschung zu zügeln, die ihm die Kehle zuschnürten.
Arturo Adragón stand in der unterirdischen Grotte des Klosters von Ambrosia. Hier herrschte eine solche Stille, dass selbst das leiseste Rascheln seiner Leibwäsche tosend wie ein Donnerschlag bis in den letzten Winkel der Kaverne drang.
Nachdem er den Deckel von Alexias Sarg genommen hatte, beugte er sich über die Tote und schob die hölzerne Schatulle mit dem geheimen Pergament, die Arquimaes ihm anvertraut hatte, unter die starren Hände der Prinzessin. Er konnte sicher sein, dass das Dokument hier gut versteckt war.
Ein Blick auf Alexia zeigte ihm, dass sein geschickter Meister Arquimaes die Leiche der Geliebten bestens einbalsamiert hatte. Zum Abschied strich Arturo ihr sanft über das leblose Gesicht.
Sodann legte er den Deckel zurück auf den Sarg; die Sicherheitsriegel, die Arquimaes angebracht hatte, schoben sich vor das Holz. So war der Sarg für alle Zeiten verschlossen. Es war beruhigend zu wissen, dass niemand außer ihm selbst oder seinem Meister in der Lage sein würde, ihn zu öffnen. Zusammen mit der magischen Formel des ewigen Lebens ruhte Alexia in der Totenkiste wie in einem Tresor.
Arturo richtete sich auf, legte die Rüstung ab und entblößte seinen mit magischen Buchstaben bedeckten Oberkörper. Er breitete die Arme aus, als wären es Flügel, und flüsterte ein Wort, das nur er selbst vernehmen konnte: Adragón. Ganz langsam löste sich sein Körper vom Boden und schwebte, leicht wie eine Feder, im Raum, so als hinge er an unsichtbaren Fäden. Arturo schloss die Augen und versank in seinen Erinnerungen.
Vor seinem geistigen Auge erschien die Vision eines auf einem Drachen reitenden Kriegers, der die Rüstung des Fürsten Ratala trug und wie entfesselt gegen ihn kämpfte, ihn töten wollte. Das Bild wurde plötzlich so real, dass er unwillkürlich die Fäuste ballte, um es auszulöschen.
Sein Gegner führte das Schwert mit dem Geschick eines erfahrenen Kriegers und zwang ihn wieder und wieder, seinen Manövern auszuweichen. Mehrmals streifte ihn die feindliche Klinge, und nachdem sie ihn schließlich gefährlich getroffen hatte, nutzte Arturo eine Unaufmerksamkeit des Feindes und stieß ihm das magische Schwert, das er von dem Alchemisten Arquimaes erhalten hatte, mit solcher Wucht in den Leib, dass es seinen Widersacher durchbohrte und ihm den Tod bescherte. Das Freudengeheul seiner Männer entschädigte ihn für die schrecklichen Momente des Zweikampfs auf dem Rücken der Drachen …
Zu jenem Zeitpunkt war er davon überzeugt gewesen, dass er gegen Ratala selbst gekämpft hatte, der ihn zu diesem Duell herausgefordert hatte. Er erinnerte sich auch daran, wie Ratalas Tod die Streitkräfte des Finsteren Zauberers demoralisiert hatte. Alles hatte zugunsten der Schwarzen Armee gesprochen, die ihr Selbstvertrauen wiedererlangt hatte und nun kurz davor gestanden hatte, die grausame Schlacht gegen die Demoniquianer für sich zu entscheiden. Doch dann war irgendetwas schiefgegangen.
Als Arturo Adragón nämlich vom Drachen gestiegen war, hatte er seinem Gegner den Helm vom Kopf genommen und voller Entsetzen feststellen müssen, dass der tote Körper Alexia gehörte und nicht Ratala. Augenblicklich hatte sich die Welt für ihn verfinstert,
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