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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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an Zärtlichkeit; die Wahrheit ist Ihnen alles, und darüber werden Sie ungerecht.«
    Der Fürst dachte nach.
    »Mir scheint, daß Sie gegen mich ungerecht sind«, sagte er dann. »Ich finde nichts Schlechtes daran, daß er so gedacht hat; denn es neigen ja alle Menschen dazu, so zu denken; zudem hat er vielleicht überhaupt nicht so gedacht, sondern nur einen Wunsch gehabt ... er wünschte zum letztenmal mit Menschen zusammen zu sein und ihre Achtung und Liebe zu verdienen; das sind doch sehr gute Gefühle; nur daß die Sache einen ganz andern Ausgang nahm; das kam von seiner Krankheit und noch aus einem andern Grund her! Manche Menschen haben eben immer in allem Glück, während andern alles mißlingt ...«
    »Das haben Sie gewiß mit Bezug auf sich selbst hinzugefügt?« bemerkte Aglaja.
    »Allerdings«, antwortete der Fürst, ohne die in der Frage liegende Schadenfreude zu beachten.
    »Aber an Ihrer Stelle wäre ich hier doch nicht eingeschlafen. Aber wohin Sie nur kommen, da schlafen Sie auch gleich ein; das ist gar nicht hübsch von Ihnen.«
    »Ich habe ja die ganze Nacht nicht geschlafen, und dann bin ich immerzu umhergewandert; ich war auf dem Musikplatz.«
    »Auf welchem Musikplatz?«
    »Da, wo gestern konzertiert wurde; und dann bin ich hierhergekommen, habe mich hingesetzt, vielerlei überlegt und bin eingeschlafen.«
    »Ah, so ist das! Das ändert die Sache zu Ihren Gunsten ... Aber warum sind Sie nach dem Musikplatz gegangen?«
    »Das weiß ich nicht; ich hatte dabei keine besondere Absicht ...«
    »Gut, gut, davon ein andermal; Sie unterbrechen mich immer, und was geht es mich an, daß Sie nach dem Musikplatz gegangen sind? Von was für einer Frau haben Sie denn geträumt?«
    »Von ... von ... Sie haben sie gesehen ...«
    »Ich verstehe ... verstehe sehr wohl. Sie haben sie also sehr ... Wie haben Sie sie denn im Traum gesehen, in welcher Gestalt? Übrigens will ich es gar nicht wissen«, fügte sie, plötzlich abbrechend, in ärgerlichem Ton hinzu. »Unterbrechen Sie mich nicht ...«
    Sie wartete ein wenig, wie wenn sie sich ein Herz fassen wollte oder ihren Ärger zu überwinden suchte.
    »Der Grund, weswegen ich Sie herbestellt habe, ist der: ich möchte Ihnen den Vorschlag machen, mein Freund zu sein. Warum sehen Sie mich auf einmal so starr an?« fügte sie beinahe zornig hinzu.
    Der Fürst blickte sie in diesem Augenblick tatsächlich sehr aufmerksam an, da er bemerkte, daß sie wieder anfing, furchtbar rot zu werden. Sie schien in solchen Fällen, je mehr sie errötete, sich um so mehr über sich zu ärgern, was in ihren blitzenden Augen deutlich zum Ausdruck kam; gewöhnlich übertrug sie dann unmittelbar darauf ihren Zorn auf denjenigen, mit dem sie sprach, mochte diesen nun eine Schuld treffen oder nicht, und fing an, sich mit ihm zu streiten. Da sie ihr scheues Wesen kannte und wußte, wie leicht sie sich schämte, so beteiligte sie sich gewöhnlich an dem Gespräch nur wenig und war schweigsamer als ihre Schwestern, mitunter sogar im Übermaß. Wenn sie, besonders in heiklen Fällen, schlechterdings nicht umhin konnte zu reden, so tat sie das zunächst in sehr hochmütiger und gewissermaßen herausfordernder Weise. Sie fühlte es immer vorher, wenn sie anfangen wollte zu erröten.
    »Sie wollen meinen Vorschlag vielleicht nicht annehmen?« fragte sie und blickte dabei den Fürsten hochmütig an.
    »O doch, ich will ihn annehmen; nur ist das gar nicht erforderlich ... ich meine, ich habe nie geglaubt, daß man einen solchen Vorschlag zu machen brauchte«, erwiderte der Fürst verlegen.
    »Aber was haben Sie denn eigentlich gedacht, weswegen ich Sie hierherbestellt hätte? Was machen Sie sich denn für Vorstellungen? Sie halten mich vielleicht für eine kleine Närrin, wie sie das bei mir zu Hause alle tun?«
    »Ich habe nicht gewußt, daß man Sie für eine Närrin hält; ich ... ich halte Sie nicht dafür.«
    »Sie halten mich nicht dafür? Das ist sehr verständig von Ihnen. Und namentlich ist es sehr verständig von Ihnen, daß Sie es sagen.«
    »Meiner Ansicht nach sind Sie sogar vielleicht mitunter sehr verständig«, fuhr der Fürst fort. »Sie haben vorhin einen sehr verständigen Gedanken ausgesprochen. Sie sagten in bezug auf meine zweifelnde Beurteilung Ippolits: ›Die Wahrheit ist Ihnen alles, und darüber werden Sie ungerecht.‹ Das hat sich mir eingeprägt, und darüber denke ich nach.«
    Aglaja wurde auf einmal dunkelrot vor Freude. Alle Gefühlsveränderungen vollzogen sich

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