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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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Augenschein lehrt, seine beiden Beine heil und gesund!« sagte der Fürst lachend. »Ich versichere Ihnen, daß das ein harmloser Spaß ist; ärgern Sie sich doch nicht darüber!«
    »Aber erlauben Sie auch mir, die Sache so aufzufassen, wie ich es für richtig halte. Was den augenscheinlichen Zustand seiner Beine anlangt, so ist seine Angabe freilich nicht ganz undenkbar; es wird versichert, daß das Tschernoswitowsche Bein ...«
    »Ach ja, mit einem Tschernoswitowschen Bein soll man ja sogar tanzen können.«
    »Das weiß ich ganz genau; als Tschernoswitow sein Bein erfunden hatte, war das erste, was er tat, daß er schleunigst zu mir kam, um es mir zu zeigen. Aber das Tschernoswitowsche Bein ist erst viel später erfunden worden ... Und außerdem behauptet er, daß sogar seine verstorbene Frau während ihrer ganzen Ehe nicht gewahr geworden sei, daß er, ihr Mann, ein Holzbein habe. ›Wenn du‹, sagte er, als ich ihn auf all diese Ungereimtheiten hinwies, ›wenn du im Jahre 1812 bei Napoleon Kammerpage warst, dann mußt du auch mir erlauben, mein Bein auf dem Wagankowschen Friedhof zu begraben.‹«
    »Aber sind Sie denn ...«, begann der Fürst und wurde verlegen.
    Der General schien ebenfalls beinah verlegen zu werden; sah aber gleich im selben Augenblick den Fürsten sehr von oben herab und fast spöttisch an.
    »Sprechen Sie zu Ende, Fürst«, sagte er, indem er die Worte mit besonderer Ruhe dehnte; »sprechen Sie zu Ende! Ich bin nicht empfindlich; sagen Sie alles: bekennen Sie nur, daß es Ihnen ein komischer Gedanke ist, einen Menschen in seinem jetzigen Zustand der Erniedrigung und Unbrauchbarkeit vor sich zu sehen und zugleich zu hören, daß dieser Mensch persönlich ein Zeuge großer Ereignisse gewesen ist.
Er
hat Ihnen noch nichts davon hinterbracht?«
    »Nein, ich habe von Lebedjew nichts gehört ... wenn Sie von Lebedjew reden ...«
    »Hm ...! Ich nahm das Gegenteil an. Eigentlich ging unser Gespräch gestern von diesem sonderbaren Artikel im Archiv aus. Ich wies auf dessen Absurdität hin, und da ich selbst persönlich Zeuge gewesen bin ... Sie lächeln, Fürst, Sie betrachten mein Gesicht?«
    »N-nein, ich ...«
    »Ich habe noch ein jugendliches Äußeres«, sagte der General langsam; »aber ich bin erheblich älter als ich aussehe. Im Jahre 1812 war ich zehn oder elf Jahre alt. Ich weiß mein Lebensalter selbst nicht ganz genau. In der Dienstliste ist es zu gering angegeben, und ich selbst hatte im Laufe meines Lebens die Schwäche, mir ein paar Jahre abzurechnen.«
    »Ich versichere Sie, General, ich finde es durchaus nicht seltsam, daß Sie im Jahre 1812 in Moskau waren und ... Gewiß können Sie darüber mancherlei mitteilen ... ebenso wie alle, die damals dort waren. Einer unserer Landsleute beginnt seine Selbstbiographie gerade mit der Erzählung, daß er im Jahre 1812 als Säugling in Moskau von französischen Soldaten mit Brot gefüttert worden sei.«
    »Nun, da sehen Sie es!« bemerkte der General beifällig und herablassend. »Was mir begegnet ist, geht allerdings über die gewöhnlichen Erlebnisse hinaus, enthält aber nichts Unerhörtes. Sehr oft macht die Wahrheit den Eindruck des Unmöglichen. Kammerpage! Das hört sich freilich sonderbar an. Aber daß ein zehnjähriger Knabe ein solches Abenteuer erlebte, erklärt sich vielleicht gerade durch sein Alter. Mit fünfzehn Jahren hätte mir das nicht begegnen können, unbedingt nicht, da ich als Fünfzehnjähriger nicht aus unserm Holzhaus in der Alten Basmannaja-Straße am Tage von Napoleons Einzug in Moskau von meiner Mutter weggelaufen wäre, die sich mit der Abreise aus Moskau verspätet hatte und vor Furcht zitterte. Als Fünfzehnjähriger hätte auch ich Angst gehabt; aber als Zehnjähriger fürchtete ich mich nicht und drängte mich durch die Menge hindurch bis dicht an das Portal des Schlosses, als Napoleon vom Pferd stieg.«
    »Ohne Zweifel haben Sie sehr treffend bemerkt, daß sich Ihre Furchtlosigkeit gerade aus Ihrem Alter von zehn Jahren erklärt«, schaltete der Fürst schüchtern ein; ihn quälte der Gedanke, daß er sogleich erröten werde.
    »Ohne Zweifel, und alles vollzog sich so einfach und natürlich, wie es sich eben nur in der Wirklichkeit vollziehen kann; wenn ein Romanschriftsteller dasselbe vortrüge, würde es wie ein Geflecht von Unmöglichkeiten und Unwahrscheinlichkeiten klingen.«
    »Ja, so ist es!« rief der Fürst. »Das ist ein Gedanke, von dem auch ich einmal überrascht gewesen bin, und zwar erst

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