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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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neulich. Ich weiß von einem wirklich geschehenen Mord wegen einer Uhr; die Geschichte steht jetzt in den Zeitungen. Hätte das ein Schriftsteller ersonnen, so würden die Kenner unseres Volkslebens und die Kritiker sofort ein großes Geschrei erheben, das sei unglaublich; aber wenn man es in den Zeitungen als Tatsache liest, dann spürt man, daß man gerade aus solchen Tatsachen das wahre russische Wesen kennenlernt. Das war eine sehr hübsche Bemerkung von Ihnen, General!« schloß der Fürst eifrig; er freute sich sehr, daß er auf diese Art die helle Röte seines Gesichtes motivieren konnte.
    »Nicht wahr, nicht wahr?« rief der General, dessen Augen vor Vergnügen blitzten. »Ein Knabe, ein Kind, das für die Gefahr kein Verständnis hat, drängt sich durch die Menge, um das Gepränge, die Uniformen, das Gefolge und schließlich den großen Mann zu sehen, von dem es schon so viel Geschrei gehört hatte. Denn damals redeten alle Leute mehrere Jahre lang nur von ihm. Die Welt war voll von diesem Namen; ich hatte ihn sozusagen mit der Muttermilch eingesogen. Als Napoleon in einer Entfernung von zwei Schritten an mir vorüberging, fiel es ihm zufällig auf, wie ich ihn ansah; ich trug adlige Tracht und war gut gekleidet. Ich war der einzige von dieser Art in der großen Menge; Sie werden selbst zugeben ...«
    »Ohne Zweifel mußte ihm das auffallen und ein Beweis dafür sein, daß nicht alle geflüchtet, sondern daß auch Edelleute mit ihren Kindern dageblieben waren.«
    »Ganz richtig, ganz richtig! Er wollte die Bojaren für sich gewinnen! Als er seinen Adlerblick auf mich richtete, mochten ihm wohl auch meine Augen entgegenblitzen. ›Voilà un garçon bien éveillé!‹ sagte er. ›Qui est ton père?‹ Ich antwortete ihm sofort, beinah atemlos vor Aufregung: ›Ein General, der auf einem Schlachtfeld seines Vaterlandes gefallen ist.‹ ›Le fils d'un boyard et d'un brave par-dessus le marché! J'aime les boyards. M'aimes-tu, petit?‹ Auf diese schnelle Frage antwortete ich ebenso schnell: ›Ein russisches Herz ist imstande, sogar in einem Feind seines Vaterlandes den großen Mann zu erkennen!‹ Das heißt, ich erinnere mich eigentlich nicht, ob ich mich buchstäblich so ausdrückte ... ich war ein Kind ... aber dies war gewiß der Sinn! Napoleon war überrascht; er dachte einen Augenblick nach und sagte zu seinem Gefolge: ›Der Stolz dieses Kindes gefällt mir! Aber wenn alle Russen so denken wie dieses Kind, dann ...‹ Er sprach den Satz nicht zu Ende und ging in das Schloß hinein. Ich mischte mich sogleich unter das Gefolge und lief ihm nach. In dem Gefolge traten die Leute vor mir auseinander und hielten mich für einen Günstling. Aber all das nahm ich nur flüchtig wahr ... Ich erinnere mich nur, daß der Kaiser, als er den ersten Saal betrat, plötzlich vor dem Porträt der Kaiserin Katharina stehenblieb, es lange nachdenklich betrachtete und endlich sagte: ›Das war eine große Frau!‹, und dann weiter ging. Nach zwei Stunden kannten mich schon alle im Schloß und im Kreml und nannten mich ›le petit boyard‹. Nach Hause ging ich nur, um in der Nacht dort zu schlafen. Zu Hause kamen sie fast von Sinnen. Schon zwei Tage darauf starb Napoleons Kammerpage, der Baron de Basencour, der die Strapazen des Feldzuges nicht hatte ertragen können. Napoleon erinnerte sich meiner; man holte mich, brachte mich hin, ohne mir zu sagen, um was es sich handelte, paßte mir die Uniform des Verstorbenen, eines zwölfjährigen Knaben, an, und als man mich in der Uniform zum Kaiser geführt und er mir zugenickt hatte, eröffnete man mir, daß ich der Gnade gewürdigt sei, zum Kammerpagen Seiner Majestät ernannt zu werden. Ich freute mich; ich hatte schon lange eine wirkliche warme Zuneigung zu ihm empfunden ... nun, und dazu noch, wie Sie sich selbst sagen können, die glänzende Uniform; das bedeutet für ein Kind viel ... Ich trug einen dunkelgrünen Frack mit langen, schmalen Schößen, mit goldenen Knöpfen, mit roter Verbrämung an den goldgestickten Ärmeln, mit hohem, stehendem, offenem, goldbesticktem Kragen, auch an den Schößen war Stickerei; ferner weiße, eng anliegende Beinkleider von sämischem Leder, eine weiß-seidene Weste, seidene Strümpfe und Schnallenschuhe ... und, wenn der Kaiser spazierenritt und ich mich unter dem Gefolge befand, hohe Reitstiefel. Obgleich die Situation nicht glänzend war und man bereits ein gewaltiges Unheil ahnte, wurde die Etikette doch nach Möglichkeit beobachtet,

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