Der Idiot
Mensch!« sagte er und näherte sich dem Fürsten sofort wieder, indem er Tränen vergoß und sich gegen die Brust schlug.
»Das ist ja eine Schändlichkeit!«
»Gewiß, eine Schändlichkeit. Das ist der richtige Ausdruck.«
»Und was haben Sie für eine häßliche Angewohnheit, in dieser ... seltsamen Weise zu verfahren? Sie sind ja der reine Spion! Warum haben Sie anonym geschrieben und eine so edeldenkende, gute Frau in Aufregung versetzt? Und endlich, warum soll Aglaja Iwanowna nicht das Recht haben, zu schreiben, an wen es ihr beliebt? Warum gingen Sie denn heute hin, um über sie Klage zu führen? Was hofften Sie dort zu erreichen? Was veranlaßte Sie zu dieser Denunziation?«
»Einzig und allein eine vergnügliche Neugier und ... die Dienstfertigkeit meines edlen Herzens, jawohl!« murmelte Lebedjew. »Jetzt aber bin ich ganz der Ihrige, ganz wieder der Ihrige! Meinetwegen können Sie mich aufhängen lassen!«
»Sind Sie in dem Zustand, in dem Sie sich jetzt befinden, auch vor Lisaweta Prokofjewna erschienen?« erkundigte sich, von Ekel erfüllt, der Fürst.
»Nein ... da war ich noch frischer ... und anständiger; in diesen Zustand habe ich mich erst nach meiner Demütigung versetzt ...«
»Nun gut, dann verlassen Sie mich jetzt!«
Indes mußte diese Aufforderung mehrmals wiederholt werden, bis der Besucher sich endlich entschloß wegzugehen. Sogar als er die Tür schon ganz geöffnet hatte, kehrte er noch einmal um, ging auf den Zehen bis in die Mitte des Zimmers zurück und begann von neuem mit den Fingern Zeichen zu machen, durch die er zeigen wollte, wie man einen Brief öffnet; mit Worten seinen Rat auszusprechen wagte er nicht; dann ging er mit leisem, freundlichem Lächeln hinaus.
Es war für den Fürsten überaus peinlich gewesen, dies alles anzuhören. Aus allem ergab sich die eine wichtige, bedeutsame Tatsache, daß Aglaja aus irgendeinem Grund (»aus Eifersucht«, flüsterte der Fürst vor sich hin) sich in großer Unruhe, in großer Unentschlossenheit und in großer Pein befand. Es ergab sich ferner, daß schlechte Menschen bemüht waren, sie in Verwirrung zu versetzen, und es war sehr seltsam, daß sie ihnen so viel Vertrauen schenkte. Offenbar reiften in diesem unerfahrenen, aber hitzigen und stolzen Köpfchen besondere Pläne, vielleicht verderbliche und ganz unerhörte Pläne. Der Fürst war in höchstem Grad erschrocken und wußte in seiner Verwirrung nicht, wozu er sich entschließen sollte. Unter allen Umständen mußte er etwas verhindern; das fühlte er. Er blickte noch einmal auf die Adresse des versiegelten Briefes: oh, hier gab es für ihn keine Zweifel und keine Beunruhigung, weil er glaubte und vertraute; was ihn bei diesem Brief beunruhigte, war etwas anderes: er mißtraute Gawrila Ardalionowitsch. Und doch war er bereits entschlossen, ihm diesen Brief persönlich zu übergeben, und hatte schon zu diesem Zweck das Haus verlassen; aber unterwegs änderte er seine Absicht. Beinah bei Ptizyns Haus begegnete ihm wie gerufen Kolja, und der Fürst beauftragte ihn, den Brief seinem Bruder zu eigenen Händen zu übergeben, als wenn derselbe direkt von Aglaja Iwanowna selbst käme. Kolja fragte nicht weiter und gab ihn ab, so daß Ganja gar nicht ahnte, daß der Brief so viele Zwischenstationen passiert hatte. Als der Fürst nach Hause zurückgekehrt war, ließ er Wjera Lukjanowna zu sich bitten, erzählte ihr so viel, wie erforderlich war, und beruhigte sie; denn sie hatte bis dahin immer nach dem Brief gesucht und geweint. Sie bekam einen großen Schreck, als sie erfuhr, daß ihr Vater den Brief weggetragen habe. (Der Fürst erfuhr von ihr erst später, daß sie zu wiederholten Malen bei der geheimen Korrespondenz zwischen Rogoschin und Aglaja Iwanowna Dienste geleistet habe; es war ihr gar nicht in den Sinn gekommen, daß dem Fürsten daraus irgendein Nachteil erwachsen könne ...) Der Fürst war schließlich in solche Verwirrung geraten, daß, als zwei Stunden darauf ein von Kolja abgeschickter Bote mit der Nachricht von der Erkrankung des Vaters zu ihm gelaufen kam, er im ersten Augenblick nicht begriff, um was es sich handelte. Aber dieser Vorfall hatte die Wirkung, ihn wiederherzustellen, da er ihn von seinen eigenen Sorgen stark ablenkte. Er verbrachte bei Nina Alexandrowna, zu der der Kranke selbstverständlich gebracht worden war, fast die ganze Zeit bis zum Abend. Er konnte sich fast gar nicht nützlich machen; aber es gibt Menschen, die man auch ohne das in gewissen
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