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Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fëdor Michajlovic Dostoevskij
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auszusehen; das Halstuch saß ihm schief; der Rockkragen war zerrissen. In seiner Wohnung tobte er nur so umher, so daß es über den Hof zu hören war; Wjera kam einmal weinend zum Fürsten und erzählte ihm etwas. Als er jetzt erschien, begann er in ganz seltsamer Weise zu reden und beschuldigte sich selbst, indem er sich heftig gegen die Brust schlug ...
    »Ich habe nun den Lohn für meinen Verrat und für meine Gemeinheit erhalten ... Ich habe eine Ohrfeige bekommen!« schloß er endlich mit tragischem Pathos.
    »Eine Ohrfeige? Von wem ...? Und so früh am Morgen?«
    »So früh am Morgen?« versetzte Lebedjew spöttisch lächelnd. »Die Zeit dabei spielt keine Rolle ... nicht einmal bei einer physischen Bestrafung ... aber ich habe eine moralische ... eine moralische Ohrfeige erhalten, und keine physische!«
    Er setzte sich ungeniert hin und begann zu erzählen. Seine Erzählung war sehr unzusammenhängend; der Fürst wollte schon stirnrunzelnd weggehen, als ihn plötzlich einige Worte frappierten. Er war starr vor Verwunderung ... Herr Lebedjew erzählte gar zu seltsame Dinge.
    Anfangs handelte es sich anscheinend um irgendeinen Brief; dabei kam Aglaja Iwanownas Name vor. Dann begann Lebedjew auf einmal sich bitter über den Fürsten selbst zu beklagen; man konnte verstehen, daß er sich von dem Fürsten beleidigt fühlte. Zuerst habe der Fürst hinsichtlich seiner Beziehungen zu einer gewissen Person, Nastasja Filippowna, ihn seines Vertrauens gewürdigt, dann aber sich ganz von ihm losgesagt und ihn mit Schimpf und Schande weggejagt, und sogar in so beleidigender Weise, daß er das letzte Mal eine harmlose Frage nach den nahe bevorstehenden Veränderungen im Hause unhöflich zurückgewiesen habe. Mit Tränen, wie Betrunkene sie leicht vergießen, gestand Lebedjew, nach alledem habe er es nicht mehr aushalten können, um so weniger, da er vieles wisse ... sehr vieles ... was ihm viele Personen mitgeteilt hätten: Rogoschin und Nastasja Filippowna und Nastasja Filippownas Freundin und Warwara Ardalionowna und ... und sogar Aglaja Iwanowna selbst, »können Sie sich das vorstellen? durch Wjeras Vermittlung, durch Vermittlung meiner geliebten Tochter Wjera, meiner einzigen Tochter ... jawohl ... übrigens nicht meiner einzigen, denn ich habe ihrer drei. Aber wer hat auf brieflichem Weg Lisaweta Prokofjewna Mitteilungen zugehen lassen, sogar unter dem Siegel des allertiefsten Geheimnisses, hehe? Wer hat sie von allen Beziehungen und Handlungen jener Person, Nastasja Filippownas, benachrichtigt, hehehe? Gestatten Sie die Frage: wer ist dieser Anonymus gewesen?«
    »Sind das wirklich Sie gewesen?« rief der Fürst.
    »Allerdings«, antwortete der Betrunkene würdevoll; »und erst heute noch, um halb neun, erst vor einer halben Stunde ... nein, es ist schon dreiviertel Stunden her, da habe ich die hochedle Mutter wissen lassen, ich hätte ihr ein sehr wichtiges Begebnis mitzuteilen. Durch ein Zettelchen habe ich sie es wissen lassen, durch das Dienstmädchen, von der Hintertür aus. Sie hat mich empfangen.«
    »Sie haben soeben Lisaweta Prokofjewna gesehen?« fragte der Fürst, der kaum seinen Ohren traute.
    »Ich habe sie soeben gesehen und eine Ohrfeige erhalten ... ... eine moralische Ohrfeige. Sie gab mir den Brief zurück oder schleuderte ihn mir vielmehr hin, ungeöffnet ..., und mich jagte sie mit Genickstößen weg ... übrigens nur im moralischen Sinne ... beinah aber auch im physischen; es fehlte nicht viel daran!«
    »Was war denn das für ein Brief, den sie Ihnen ungeöffnet hingeschleudert hat?«
    »Habe ich denn ... Hehehe! Aber ich habe es Ihnen ja noch nicht gesagt! Ich glaubte, es Ihnen schon gesagt zu haben ... Ich hatte so einen Brief zur Bestellung erhalten ...«
    »Von wem? An wen?«
    Aber es war sehr schwer, aus manchen »Erklärungen« Lebedjews klug zu werden oder auch nur etwas davon zu verstehen. Der Fürst konnte nur soviel begreifen, daß der Brief frühmorgens seiner Tochter Wjera von einem Dienstmädchen zum Zweck der Bestellung an seine Adresse ausgehändigt sei ... »ebenso wie schon früher ... ebenso wie schon früher ein Brief von derselben Dame an eine gewisse Person ... (denn ich nenne die eine von ihnen eine Dame und die andere nur eine Person, um die letztere herabzusetzen und sie beide zu unterscheiden; denn es ist ein großer Unterschied zwischen einer unschuldigen, hochedlen Generalstochter und ... so einer Halbweltlerin); jener frühere Brief war also von der Dame, deren Name

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