Der Idiot
davon zu reden angefangen!«
Aglaja blickte ihn finster an.
»Wissen Sie was?« fuhr der Fürst nach einer kleinen Pause endlich fort. »Das beste wird sein, wenn ich morgen gar nicht herkomme! Ich werde einen Zettel schicken, daß ich krank bin; dann ist die Sache erledigt!« Aglaja stampfte mit dem Fuß und wurde ganz blaß vor Zorn.
»Mein Gott! Hat man je so etwas erlebt! Er will nicht herkommen, wo doch alles expreß um seinetwillen ... o Gott! Ja, es ist ein Vergnügen, mit so einem unvernünftigen Menschen zu tun zu haben, wie Sie!«
»Nun, ich werde kommen, ich werde kommen!« unterbrach der Fürst sie schnell. »Und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich den ganzen Abend über dasitzen werde, ohne ein Wort zu sagen. Ich werde es ganz bestimmt so machen.«
»Daran werden Sie guttun. Sie sagten soeben: ›ich werde einen Zettel schicken, daß ich krank bin‹; wo nehmen Sie denn eigentlich all solche Ausdrücke her? Wie kommen Sie denn dazu, mir gegenüber solche Ausdrücke zu gebrauchen? Sie wollen mich wohl damit necken?«
»Pardon; das ist ebenfalls ein Schulausdruck; ich werde es nicht wieder tun. Ich begreife sehr wohl, daß Sie ... Befürchtungen wegen meiner Person hegen ... (aber werden Sie nur nicht böse!), und ich freue mich darüber recht sehr. Sie glauben gar nicht, wie ich mich jetzt vor Ihren Worten fürchte, und – wie ich mich über Ihre Worte freue. Aber diese ganze Furcht ist nach meiner festen Überzeugung nur Torheit und dummes Zeug, wahrhaftig, Aglaja; aber die Freude wird bleiben. Ich habe es sehr gern, daß Sie ein solches Kind sind, ein so liebes, gutes Kind! Ach, wie allerliebst Sie sein können, Aglaja!«
Aglaja wollte natürlich eine zornige Antwort geben und setzte schon dazu an; aber plötzlich erfüllte ein Gefühl, das ihr selbst überraschend kam, in einem Augenblick ihre ganze Seele.
»Werden Sie mir auch meine jetzigen unartigen Reden nicht ... später einmal ... vorhalten?« fragte sie plötzlich.
»Was reden Sie da! Was reden Sie da! Und warum sind sie wieder so rot geworden? Und jetzt sehen Sie wieder so finster aus! Sie machen jetzt manchmal ein so finsteres Gesicht, Aglaja, wie Sie es früher nie taten. Ich weiß, warum ...«
»Schweigen Sie, schweigen Sie!«
»Nein, es ist besser, wenn wir darüber reden. Ich wollte schon lange davon sprechen; ich habe schon früher einmal davon gesprochen, aber das war zu wenig; denn Sie haben mir nicht geglaubt. Zwischen uns steht ein Wesen ...«
»Schweigen Sie, schweigen Sie, schweigen Sie, schweigen Sie!« unterbrach ihn Aglaja; sie faßte ihn kräftig am Arm und sah ihn angstvoll an.
In diesem Augenblick wurde sie gerufen; sie schien sich darüber zu freuen, ließ ihn stehen und lief davon.
Der Fürst lag die ganze Nacht über im Fieber. Seltsamerweise hatte er schon mehrere Nächte hintereinander gefiebert. Diesmal kam ihm im halben Irrwahn der Gedanke: wenn er nun morgen in Gegenwart aller einen Anfall bekäme, was dann? Er hatte ja schon solche Anfälle im Zustand des Wachens gehabt. Bei diesem Gedanken überlief es ihn eiskalt; die ganze Nacht über sah er sich in einer wunderlichen, unerhörten Gesellschaft zwischen irgendwelchen sonderbaren Leuten. Die Hauptsache dabei war, daß er »einen Vortrag hielt«; er wußte, daß er nicht reden sollte, redete aber doch die ganze Zeit über und suchte die Anwesenden zu etwas zu überreden. Jewgeni Pawlowitsch und Ippolit befanden sich ebenfalls unter den Gästen und schienen sehr gute Freunde zu sein.
Er erwachte zwischen acht und neun Uhr mit Kopfschmerzen, mit einer argen Verwirrung aller Gedanken und mit seltsamen Empfindungen. Aus unklarem Grund fühlte er ein lebhaftes Verlangen, Rogoschin wiederzusehen, ihn wiederzusehen und viel mit ihm zu reden; worüber eigentlich, daß wußte er selbst nicht; dann beschloß er, zu irgendeinem Zweck zu Ippolit zu gehen. In seinem Herzen herrschte eine gewisse Verworrenheit, so daß das, was er an diesem Vormittag erlebte, ihm einen zwar sehr starken, aber dabei doch nur unvollständigen Eindruck machte. Eines dieser Erlebnisse bestand in einem Besuch Lebedjews.
Lebedjew erschien ziemlich früh, bald nach neun Uhr, und fast ganz betrunken. Obgleich der Fürst in der letzten Zeit auf seine Umgebung nicht viel geachtet hatte, war es ihm doch aufgefallen, daß, seitdem General Iwolgin vor drei Tagen von ihnen weggezogen war, Lebedjew sich sehr schlecht aufführte. Er hatte auf einmal angefangen sehr unsauber und schmutzig
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