Der Idiot
wüßtest, wie wenig dir das steht‹, sagte sie, ›gerade wie einer Kuh ein Sattel. Meinst du etwa, mich dadurch einzuschüchtern? Was schadet es mir denn, wenn du hungrig dasitzt? Nein, wie mich das ängstigt!‹ Sie wurde zornig, aber das dauerte nicht lange; dann fing sie wieder an, mich zu höhnen. Und da wunderte ich mich über sie, wie es kam, daß eigentlich so gar keine Bosheit aus ihr redete. Und doch trägt sie andern das Böse, das sie ihr angetan haben, nach, trägt es ihnen lange nach! Mir schoß damals der Gedanke durch den Kopf, sie möge mich wohl so geringschätzen, daß sie mir nicht einmal ernstlich böse sein könne. Und das ist auch die Wahrheit. ›Weißt du‹, sagte sie, ›was es mit dem römischen Papst für eine Bewandtnis hat?‹ – ›Ich habe von ihm gehört‹, sagte ich. – ›Du hast keine Weltgeschichte gelernt, Parfen Semjonowitsch‹, sagte sie. – ›Ich habe überhaupt nichts gelernt‹, sagte ich. – ›Nun‹, sagte sie, ›da will ich dir einmal etwas zu lesen geben: es gab einmal einen Papst, der war auf einen Kaiser zornig, und der Kaiser lag vor dem Palast des Papstes drei Tage, ohne zu trinken und ohne zu essen, barfuß auf den Knien, bis der ihm verzieh. Was meinst du? Was mag wohl der Kaiser in diesen drei Tagen, als er da kniete, im stillen gedacht, und was für Gelübde mag er wohl abgelegt haben? ... Aber warte‹, sagte sie, ›ich werde es dir selbst vorlesen!‹ Sie sprang auf und holte ein Buch. ›Es sind Verse‹, sagte sie und begann mir in Versen vorzulesen, wie dieser Kaiser sich in diesen drei Tagen schwor, daß er sich an dem Papste rächen werde. ›Gefällt dir das denn nicht, Parfen Semjonowitsch?‹ sagte sie. – ›Was du da gelesen hast‹, sagte ich, ›ist alles sehr richtig.‹ – ›Aha, du sagst selbst, daß es richtig ist, also tust du vielleicht ebenfalls ein Gelübde von dieser Art: »Wenn sie mich heiratet, dann werde ich daran denken und ihr's heimzahlen!«‹ – ›Ich weiß nicht‹, sagte ich, ›vielleicht denke ich wirklich so.‹ – ›Wie ist denn das möglich, daß du es nicht weißt?‹ – ›Ich weiß es einfach nicht‹, sagte ich, ›ich denke jetzt an andere Dinge.‹ – ›Woran denkst du denn jetzt?‹ – ›Wenn du von deinem Platze aufstehst und an mir vorbeigehst, dann blicke ich nach dir hin und folge dir mit den Augen, und wenn dein Kleid raschelt, dann steht mir das Herz still, und wenn du aus dem Zimmer gehst, dann rufe ich mir jedes Wort, das du gesagt hast, ins Gedächtnis zurück, und mit welchem Tone du es gesagt hast und welchen Sinn es hatte, und diese ganze Nacht habe ich an nichts gedacht; ich habe immer nur danach hingehorcht, wie du im Schlaf atmetest und wie du dich ein paarmal bewegtest...‹ – ›Da denkst du wohl‹, sagte sie lachend, ›am Ende gar auch nicht mehr daran, daß du mich geschlagen hast, und hast es ganz vergessen?‹ – ›Vielleicht denke ich nicht mehr daran‹, sagte ich, ›ich weiß es nicht.‹ – ›Aber wenn ich dir nun nicht verzeihe und dich nicht heirate?‹ – ›Ich habe schon gesagt, daß ich mich dann ertränke.‹ – ›Vielleicht tötest du mich noch vorher...‹ Als sie das gesagt hatte, versank sie in Nachdenken. Dann wurde sie zornig und ging hinaus. Eine Stunde darauf kam sie mit ganz finsterer Miene wieder zu mir herein. ›Ich werde dich heiraten, Parfen Semjonowitsch‹, sagte sie, ›nicht weil ich vor dir Angst habe, sondern weil es ganz gleich ist, wie ich zugrunde gehe. Da ist eine Art nicht besser als die andere. Setz dich hin‹, sagte sie, ›es wird gleich das Mittagessen für dich aufgetragen werden. Und wenn ich dich heirate‹, fügte sie hinzu, ›so werde ich dir eine treue Frau sein, daran zweifle nicht; darüber brauchst du dich nicht zu beunruhigen.‹ Dann schwieg sie ein Weilchen und sagte darauf: ›Du bist doch kein Lakai; ich hatte früher gemeint, du wärest ein richtiger Lakai, wie er leibt und lebt.‹ Und da setzte sie auch die Hochzeit an, aber eine Woche darauf lief sie mir davon und flüchtete sich zu Lebedew. Als ich herkam, sagte sie zu mir: ›Ich will dich nicht gänzlich abweisen, ich will nur noch warten, solange es mir gefällt, denn ich bin immer noch meine eigene Herrin. Warte auch du, wenn du willst!‹ So steht es jetzt bei uns ... Wie denkst du über das alles, Lew Nikolajewitsch?«
»Wie denkst du selbst darüber?« fragte der Fürst zurück und blickte Rogoshin traurig an.
»Aber denke ich denn
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