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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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anständig behandeln!... Warum trugt ihr denn vorhin, als ihr hereinkamt, die Köpfe so stolz erhoben? ›Wagt es nicht, uns zu nahe zu treten; wir kommen! Gib uns alle erdenklichen Rechte; aber wage du nicht, uns gegenüber zu mucksen! Erweise uns in unerhörtem Maße alle Achtung, aber wir werden dich schlechter behandeln als den niedrigsten Lakaien!‹ Sie suchen die Wahrheit, sie bestehen auf ihrem Recht; aber sie selbst haben ihn wie die Heiden in ihrem Artikel verleumdet. ›Wir fordern, wir bitten nicht, und ihr werdet von uns kein Wort des Dankes zu hören bekommen, weil ihr es doch nur zur Beruhigung eures eigenen Gewissens tut!‹ Eine nette Moral! Aber wenn du dich von jeder Verpflichtung zur Dankbarkeit dispensierst, dann kann doch auch der Fürst dir antworten, daß er gegen Pawlischtschew keine Dankbarkeit empfinde, weil ja auch Pawlischtschew nur zur Beruhigung seines eigenen »Ich danke Ihnen«, fuhr Ippolit leise fort. »Setzen Sie sich mir gegenüber, dann wollen wir miteinander sprechen... Wir müssen unbedingt miteinander sprechen, Lisaweta Prokofjewna, jetzt bestehe ich darauf...« Er lächelte wieder. »Bedenken Sie, daß ich heute zum letztenmal in der freien Luft und unter Menschen bin und in zwei Wochen aller Wahrscheinlichkeit nach in der Erde liegen werde. Also wird das eine Art Abschied von den Menschen und von der Natur sein. Ich bin zwar nicht sehr sentimental, aber denken Sie sich: ich freue mich doch sehr, daß sich dies alles gerade hier in Pawlowsk zugetragen hat; man sieht hier doch wenigstens einen grünen Baum.«
    »Aber wozu willst du denn jetzt ein Gespräch führen?« wandte Lisaweta Prokofjewna ein, die immer ängstlicher wurde. »Du fieberst ja vollständig. Vorhin kreischtest und quiektest du, und jetzt bekommst du kaum Luft und bist am Ersticken!«
    »Ich werde mich gleich wieder erholen. Warum wollen Sie mir meinen letzten Wunsch abschlagen? ...Wissen Sie, ich habe schon lange im stillen davon phantasiert, mit Ihnen einmal zusammenzukommen, Lisaweta Prokofjewna; ich habe viel von Ihnen gehört... durch Kolja; der ist ja fast der einzige, der mich nicht verlassen hat... Sie sind eine eigenartige Frau, eine exzentrische Frau, das habe ich jetzt selbst gesehen... Wissen Sie wohl, daß ich Sie sogar ein bißchen geliebt habe?«
    »O Gott, und ich hätte ihn wahrhaftig beinah geschlagen!«
    »Aglaja Iwanowna hat Sie davon zurückgehalten. Ich irre mich doch nicht? Das ist doch Ihre Tochter Aglaja Iwanowna? Sie ist so schön, daß ich vorhin gleich beim ersten Blick vermutete, sie sei es, obwohl ich sie niemals gesehen habe. Lassen Sie mich wenigstens zum letztenmal in meinem Leben eine wirkliche Schönheit sehen!« fügte Ippolit mit einem ungeschickten, schiefen Lächeln hinzu. »Es ist ja auch der Fürst hier und Ihr Gemahl und die ganze Gesellschaft. Warum wollen Sie mir meinen letzten Wunsch abschlagen?«
    »Einen Stuhl!« rief Lisaweta Prokofjewna, aber sie ergriff selbst einen und setzte sich Ippolit gegenüber hin. »Kolja!« befahl sie, »brich gleich mit ihm auf und bring ihn nach Hause, und morgen werde ich bestimmt selbst...«
    »Wenn Sie erlauben, würde ich den Fürsten um eine Tasse Tee bitten... Ich bin sehr müde. Wissen Sie was, Lisaweta Prokofjewna, Sie wollten ja wohl den Fürsten zum Teetrinken mit zu sich nach Hause nehmen: bleiben Sie doch hier, lassen Sie uns eine Weile zusammensein; der Fürst wird gewiß uns allen, die wir hier sind, Tee geben lassen. Verzeihen Sie, daß ich solche Anordnungen treffe!... Aber ich kenne Sie ja, Sie sind eine gute Frau, und auch der Fürst ist ein guter Mensch... wir sind sämtlich lächerlich gute Leute...«
    Der Fürst geriet in geschäftige Bewegung; Lebedew stürzte Hals über Kopf davon, Wera lief hinter ihm her.
    »Sei es so!« stimmte die Generalin ihm kurz bei. »Rede, aber leise, und rege dich nicht auf! Du tust mir leid!... Fürst, du verdienst nicht, daß ich bei dir Tee trinke; aber ich will meinetwegen hierbleiben, obwohl ich niemand um Verzeihung bitte, niemand! Unsinn! Übrigens, wenn ich vorhin auf dich geschimpft habe, so verzeih mir das ... das heißt, wenn du willst. Übrigens will ich niemand hier zurückhalten«, wandte sie sich mit höchst zorniger Miene an ihren Mann und an ihre Töchter, als ob auch diese ihr irgendein schweres Unrecht angetan hätten. »Ich kann auch allein nach Hause zurückgehen...«
    Aber man ließ sie nicht zu Ende sprechen. Alle traten heran und umringten sie dienstfertig.

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