Der Idiot
Arm? Vorhin verstanden Sie nicht, den richtigen Zeitpunkt wahrzunehmen, um mich wegzuführen; Sie sind der Mann, Sie sind das Oberhaupt der Familie; Sie mußten mich Närrin am Ohr wegführen, wenn ich nicht auf Sie hörte und wegging. Und wenigstens sollten Sie für Ihre Töchter sorgen! Aber jetzt werden wir auch ohne Sie den Weg finden; Anlaß, uns zu schämen, haben wir jetzt für ein ganzes Jahr genug ... Warten Sie noch einen Augenblick; ich möchte mich erst noch beim Fürsten bedanken!... Ich danke dir, Fürst, für die gastliche Aufnahme! Und ich hatte mich hier behaglich hergesetzt, um die Jugend reden zu hören... Das ist eine Gemeinheit, eine Gemeinheit! Das ist ja ein Unfug, ein Wirrwarr; so etwas sieht man ja nicht einmal im Traum! Gibt es denn wirklich viele solche Menschen?... Schweig still, Aglaja! Schweig still, Alexandra! Das ist nicht eure Sache!... Drehen Sie sich nicht immer neben mir hin und her, Jewgenij Pawlowitsch, Sie sind mir ganz zuwider geworden!... Also du, mein Lieber, bittest diese Menschen noch um Verzeihung«, fuhr sie, sich wieder an den Fürsten wendend, fort. »›Verzeihen Sie‹, sagst du, ›daß ich Ihnen ein Kapital anzubieten gewagt habe!‹... Und du Schwadroneur, was hast du denn zu lachen?« fuhr sie plötzlich auf Lebedews Neffen los. »Du sagst: ›Wir verzichten auf das Kapital; wir bitten nicht, sondern wir fordern!‹ Als ob er nicht wüßte, daß dieser Idiot gleich morgen wieder zu ihnen hinlaufen wird, um ihnen seine Freundschaft und sein Geld anzubieten! Du wirst ja doch wohl hingehen? Wirst du hingehen? Ja oder nein?«
»Ja, ich werde hingehen«, antwortete der Fürst leise und demütig.
»Na, da hört ihr's! Darauf rechnest du ja auch bloß!« wandte sie sich wieder zu Doktorenko, »jetzt hast du das Geld schon so gut wie in der Tasche, und da schwadronierst du, um uns Sand in die Augen zu streuen... Nein, Verehrtester, da mußt du dir andere suchen, die dümmer sind als ich, ich durchschaue euch durch und durch ... ich verstehe euer ganzes Spiel!«
»Lisaweta Prokofjewna!« rief der Fürst.
»Kommen Sie weg von hier, Lisaweta Prokofjewna, es ist hohe Zeit; auch den Fürsten wollen wir mitnehmen«, sagte Fürst Schtsch. lächelnd in möglichst ruhigem Ton.
Die Mädchen standen ängstlich abseits, der General war ganz erschrocken, überhaupt waren alle erstaunt. Einige, die etwas weiter entfernt standen, lächelten heimlich und flüsterten untereinander; Lebedews Gesicht drückte den höchsten Grad des Entzückens aus.
»Häßlichen Wirrwarr findet man in der ganzen Welt, gnädige Frau«, sagte Lebedews Neffe, der gleichfalls nicht wenig betroffen war.
»Aber nicht einen so argen! Nicht einen so argen, lieber Freund, wie jetzt bei euch, nicht einen so argen!« rief Lisaweta Prokofjewna, gleichsam schadenfroh und wie in einem hysterischen Anfall. »So laßt mich doch in Ruhe!« schrie sie denen, die auf sie einredeten, zu. »Nein, wenn Sie schon erzählen, Jewgenij Pawlowitsch, daß sogar ein Verteidiger vor Gericht erklärt hat, es sei nichts natürlicher, als aus Armut sechs Menschen abzuschlachten, dann ist der Jüngste Tag nahe herangekommen; so etwas habe ich ja noch nie gehört! Jetzt ist mir alles klargeworden! Ist denn dieser Stotterer etwa nicht imstande, einem die Kehle abzuschneiden?« Sie wies auf Burdowskij, der sie höchst erstaunt ansah. »Ich möchte darauf wetten, daß er es fertigbringt! Er wird dein Geld, die zehntausend Rubel, vielleicht nicht annehmen, wird sie vielleicht aus Gewissensbedenken nicht annehmen; aber er wird bei Nacht kommen und dir die Kehle durchschneiden und das Geld aus der Schatulle nehmen, ohne daß sein Gewissen dagegen Einwendungen erhebt! Das ist nach seiner Ansicht nicht ehrlos! Das ist ›ein Ausbruch edler Verzweiflung‹, das ist ›Negation‹ oder weiß der Teufel was sonst noch... Pfui! Alles ist auf den Kopf gestellt, alle gehen mit den Füßen nach oben. Da ist ein junges Mädchen im Elternhaus aufgewachsen; auf einmal springt sie mitten auf der Straße in eine Droschke: ›Mamachen, ich habe mich neulich mit irgendeinem Karlowitsch oder Iwanowitsch verheiratet; leben Sie wohl!‹ Und eine solche Handlungsweise ist nach eurer Meinung ganz in der Ordnung, achtenswert und natürlich? Das ist die Frauenfrage? Da, dieser dumme Junge hier« (sie zeigte auf Kolja), »auch der hat neulich darüber disputiert und sagt, das sei eben die Frauenfrage. Aber auch wenn eine Mutter dumm ist, sollten die Töchter sie
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