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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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von einem andern Gedanken überrascht, stehen, ›vorhin kam sie nach der Veranda herunter, als ich in der Ecke saß, und wunderte sich gewaltig, mich dort zu finden, und lachte so ... und fing an, vom Teetrinken zu reden, und doch hatte sie in diesem Augenblick schon den Zettel in der Hand; folglich wußte sie unbedingt, daß ich in der Veranda saß. Warum tat sie dann also so erstaunt? Hahaha!‹
    Er zog den Zettel aus der Tasche und küßte ihn, blieb dann aber sogleich stehen und versank in Gedanken.
    »Wie sonderbar das ist! Wie sonderbar das ist!« sagte er ein Weilchen darauf beinahe traurig. In Augenblicken einer starken Freude wurde er stets traurig, er wußte selbst nicht warum. Er schaute aufmerksam um sich und wunderte sich, daß er hierhergeraten war. Er war sehr müde, ging zu der Bank und setzte sich darauf. Ringsum herrschte tiefe Stille. Die Musik im Vauxhall hatte schon aufgehört. Im Park war vielleicht keine Menschenseele mehr; es war ja auch schon mindestens halb zwölf. Es war eine stille, warme, helle Nacht, so eine echte Petersburger Nacht zu Anfang Juni, aber in dem dichten, schattigen Park und in der Allee, in der er sich befand, war es schon fast ganz dunkel.
    Wenn ihm jemand in diesem Augenblick gesagt hätte, daß er verliebt, leidenschaftlich verliebt sei, so würde er diesen Gedanken erstaunt und vielleicht sogar entrüstet zurückgewiesen haben. Und wenn jemand hinzugefügt hätte, daß Aglajas Zettelchen ein Liebesbrief sei, die Aufforderung zu einem Rendezvous, so würde er sich für ihn in tiefster Seele geschämt und ihn vielleicht zum Duell gefordert haben. Diese seine ganze Anschauung war völlig aufrichtig und durch keinerlei Zweifel getrübt, und er lehnte jede Spur eines »doppelten« Gedankens an die Möglichkeit der Liebe eines solchen Mädchens zu ihm oder gar an die Möglichkeit seiner Liebe zu diesem Mädchen entschieden ab. Eines solchen Gedankens hätte er sich geschämt: die Annahme, daß sie ihn, »einen solchen Menschen«, lieben könne, hätte er für ungeheuerlich gehalten. Seiner Vorstellung nach handelte es sich von ihrer Seite einfach um Mutwillen, wenn überhaupt etwas dahintersteckte, aber er fand diesen Mutwillen ganz natürlich und regte sich darüber nicht auf; etwas ganz anderes war es, was ihn beschäftigte und seine Gedanken in Anspruch nahm. Die Bemerkung, die kurz vorher dem General in seiner Erregung entschlüpft war, daß sie sich über alle und namentlich über ihn, den Fürsten, lustig mache, hielt er für vollkommen richtig. Er fühlte sich dadurch auch nicht im geringsten verletzt, seiner Meinung nach mußte es so sein. Die Hauptsache war für ihn, daß er sie am nächsten Tage frühmorgens wiedersehen, neben ihr auf der grünen Bank sitzen, die Belehrung über das Laden von Pistolen anhören und sie ansehen würde. Weiter hatte er keinen Wunsch. Die Frage, was sie ihm eigentlich sagen wollte und was das für eine wichtige, ihn direkt angehende Angelegenheit war, tauchte ebenfalls ein- oder zweimal in seinem Kopf auf. An der tatsächlichen Existenz dieser »wichtigen Angelegenheit«, um derentwillen er zum Rendezvous bestellt war, zweifelte er übrigens keinen Augenblick, aber er dachte an diese wichtige Angelegenheit jetzt fast gar nicht, so wenig, daß er nicht einmal den geringsten Drang verspürte, daran zu denken.
    Das Knirschen leiser Schritte auf dem Sand der Allee veranlaßte ihn, den Kopf zu heben. Ein Mensch, dessen Gesicht in der Dunkelheit schwer zu erkennen war, näherte sich der Bank und setzte sich neben ihn. Der Fürst rückte schnell nahe an ihn heran und erkannte das bleiche Gesicht Rogoshins.
    »Das habe ich doch gewußt, daß du hier irgendwo umherschweifst, ich habe auch nicht lange zu suchen brauchen«, murmelte Rogoshin durch die Zähne.
    Es war das erstemal seit ihrer Begegnung auf der Treppe des Gasthauses, daß sie miteinander zusammentrafen. Überrascht durch Rogoshins plötzliches Erscheinen, konnte der Fürst eine Weile nicht seine Gedanken sammeln, und eine qualvolle Empfindung wurde in seinem Herzen wieder wach. Rogoshin hatte offenbar Verständnis für den Eindruck, den er hervorrief; aber obgleich er anfänglich verwirrt zu sein und mit einer Art gekünstelter Ungezwungenheit zu reden schien, schien es dem Fürsten doch bald, daß sein Benehmen ungekünstelt und nicht einmal besonders verlegen war: wenn eine gewisse Ungeschicklichkeit in seinen Gesten und seiner Redeweise zutage trat, so war das nur äußerlich;

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