Der Idiot
ich ihn benannt habe, werde ich wohl auch gehörig gequält haben. In der letzten Zeit hat auch er mich gepeinigt: das alles war ganz natürlich, die Menschen sind eben dazu geschaffen, einander zu peinigen. Aber ich merkte, daß er mein reizbares Wesen so ertrug, als hätte er sich von vornherein vorgenommen, mich als einen Kranken zu schonen. Natürlich reizte mich das noch mehr; aber wie es schien, beabsichtigte er, dem Fürsten in ›christlicher Sanftmut‹ nachzueifern, was ziemlich lächerlich wirkte. Er ist ein junger, heißblütiger Mensch und macht natürlich alles nach; aber es wollte mir manchmal scheinen, daß es für ihn an der Zeit sei, seinen eigenen Verstand zur Richtschnur zu nehmen. Ich habe ihn sehr gern. Ich habe auch Surikow gequält, der über uns wohnt und vom Morgen bis zum Abend herumläuft, um allerlei Aufträge auszuführen; ich suchte ihm fortwährend zu beweisen, daß er an seiner Armut selbst schuld sei, so daß er endlich ängstlich wurde und aufhörte, zu mir zu kommen. Er ist ein sehr sanftmütiger Mensch, das sanftmütigste Wesen, das man sich nur denken kann. (NB. Ich habe die Behauptung gehört, die Sanftmut sei eine gewaltige Kraft; ich muß den Fürsten danach fragen, es ist das sein eigener Ausdruck.) Aber als ich im März zu ihm nach oben ging, um zu sehen, wie sie dort das kleine Kind nach seinen Worten ›hatten erfrieren lassen‹, und über der Leiche des Kindes wie zufällig lächelte, weil ich diesem Surikow wieder zu beweisen anfing, daß er ›selbst schuld‹ sei, da begannen diesem Jammermenschen auf einmal die Lippen zu beben; er faßte mich mit der einen Hand an der Schulter, wies mit der andern nach der Tür und sagte leise, beinah flüsternd, zu mir: ›Gehen Sie weg!‹ Ich ging hinaus, und sein Benehmen gefiel mir sehr, gefiel mir gleich damals, gleich in dem Augenblick, als er mich hinauswies; aber seine Worte riefen nachher, wenn ich mich an sie erinnerte, lange Zeit bei mir das peinliche Gefühl eines seltsamen, geringschätzigen Mitleids mit ihm hervor, das ich eigentlich gar nicht empfinden wollte. Sogar im Augenblick einer solchen Kränkung (ich fühle ja, daß ich ihn gekränkt habe, obgleich das nicht in meiner Absicht lag), sogar in einem solchen Augenblick brachte dieser Mensch es nicht fertig, böse zu werden! Ich kann beschwören, daß seine Lippen damals nicht vor Zorn bebten, und als er mich am Arm faßte und sein prächtiges ›Gehen Sie weg!‹ sagte, da war er gar nicht zornig. Eine gewisse Würde lag darin, sogar viel Würde, eine Würde, die zu seinem ganzen Wesen gar nicht recht passen wollte (so daß sie, die Wahrheit zu sagen, recht komisch wirkte), aber Zorn lag nicht darin. Vielleicht hatte er einfach angefangen, mich zu verachten. Seit jener Zeit begann er plötzlich, als ich ihm ein paarmal auf der Treppe begegnete, vor mir den Hut abzunehmen, was er früher nie getan hatte, aber er blieb nicht mehr stehen wie früher, sondern lief verlegen an mir vorbei. Wenn er mich auch verachtete, so machte er das doch auf seine Weise: er ›verachtete demütig ‹. Vielleicht aber nahm er seinen Hut auch einfach aus Furcht ab, weil ich der Sohn seiner Gläubigerin war; denn er war meiner Mutter beständig Geld schuldig und nie imstande, sich aus den Schulden herauszuarbeiten. Und das ist sogar das wahrscheinlichste. Ich hätte mich gern mit ihm ausgesprochen und weiß sicher, daß er nach zehn Minuten mich um Verzeihung gebeten hätte; aber ich war doch der Meinung, daß es das beste sei, ihn in Ruhe zu lassen.
Zur gleichen Zeit, das heißt um die Zeit, als Surikow sein Kind ›erfrieren ließ‹, Mitte März, besserte sich ohne sichtbaren Grund mein Befinden auf einmal erheblich, und das dauerte etwa vierzehn Tage. Ich fing an auszugehen, am häufigsten in der Abenddämmerung. Ich liebte diese Tageszeit im März, wo es anfängt, kalt zu werden, und das Gas angezündet wird; ich machte manchmal weite Wege. Einmal überholte mich in der Schestilawotschnaja-Straße in der Dunkelheit ein ›den besseren Ständen angehöriger‹ Herr, ich konnte ihn nicht genauer erkennen; er trug etwas in Papier Eingewickeltes und hatte einen kurzen, unschönen Paletot an, der für die Jahreszeit zu leicht war. Als er an einer Laterne vorbeikam, die sich in einer Entfernung von ungefähr zehn Schritten vor mir befand, bemerkte ich, daß ihm etwas aus der Tasche fiel. Ich beeilte mich, es aufzuheben, – und es war die höchste Zeit, da bereits ein Mann in einem
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