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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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ganz in Übereinstimmung mit Ihrem eigenen Herzen!« rief der General entzückt, und seltsamerweise blinkten wirkliche Tränen in seinen Augen. »Ja, Fürst, ja, das war ein großartiges Schauspiel! Und wissen Sie, ich wäre beinah mit ihm nach Paris gegangen und hätte dann schließlich sein Los auf der ›heißen Insel der Verbannung‹ geteilt, aber leider gingen unsere Lebenswege auseinander! Wir trennten uns: er ging nach der heißen Insel, wo er sich vielleicht in einem Augenblick tiefen Grams wenigstens einmal noch an die Tränen des armen Knaben erinnert haben mag, der ihn in Moskau umarmt und von ihm Abschied genommen hatte; ich dagegen kam in das Kadettenkorps, wo ich nichts fand als Drill, rohes Benehmen der Kameraden und... Ach, alles war zu Ende! ›Ich will dich deiner Mutter nicht entziehen und werde dich daher nicht mitnehmen!‹ sagte er zu mir an dem Tag, an dem der Rückzug begann; ›aber ich würde gern etwas für dich tun.‹ Er stieg schon zu Pferd. ›S chreiben Sie mir etwas zum Andenken in das Album meiner Schwester!‹ sagte ich schüchtern, denn er war sehr zerstreut und finster. Er drehte sich um, verlangte eine Feder und nahm das Album. ›Wie alt ist deine Schwester?‹ fragte er mich, die Feder schon in der Hand haltend. ›Drei Jahre‹, antwortete ich. ›Petite fille alors.‹ Er schrieb in das Album:
    Ne mentez jamais!
Napoléon, votre ami sincère.
    Ein solcher Rat und in einem solchen Augenblick, Sie müssen selbst sagen, Fürst ...«
    »Ja, das ist bedeutsam.«
    »Dieses Blatt hing in einem goldenen Rahmen unter Glas bei meiner Schwester zeitlebens in ihrem Salon an der augenfälligsten Stelle, bis zu ihrem Tode (sie starb im Wochenbett); wo es jetzt ist, weiß ich nicht... Aber... ach, mein Gott! Es ist schon zwei Uhr! Wie ich Sie aufgehalten habe, Fürst! Es ist unverzeihlich!«
    Der General stand von seinem Stuhl auf.
    »Oh, im Gegenteil!« stammelte der Fürst. »Sie haben mich so schön unterhalten, und... Ihre Mitteilungen... waren so interessant, ich bin Ihnen so dankbar!«
    »Fürst!« sagte der General, indem er ihm wieder die Hand drückte, so daß es fast schmerzte, und ihn mit glänzenden Augen unverwandt anblickte, als wäre er selbst auf einmal zur Besinnung gekommen und von einem plötzlichen Gedanken überrascht. »Fürst! Sie sind ein so guter, ein so harmloser Mensch, daß Sie mir manchmal geradezu leid tun. Ich sehe Sie mit inniger Rührung an, Gott segne Sie! Möge Ihr Leben... in Liebe beginnen und aufblühen! Das meine ist abgeschlossen! Oh, verzeihen Sie, verzeihen Sie!«
    Er ging schnell hinaus, das Gesicht mit den Händen bedeckend. An der Aufrichtigkeit seiner Erregung konnte der Fürst nicht zweifeln. Er verstand auch, daß der Alte wie berauscht von seinem Erfolg wegging, aber er ahnte doch, daß dieser Mensch zu derjenigen Sorte von Lügnern gehörte, die zwar bis zur Wollust und Selbstvergessenheit schwindeln, aber sogar auf dem Gipfelpunkt ihres Rausches im stillen noch argwöhnen, daß man ihnen nicht glaubt und nicht glauben kann. Es war denkbar, daß der Alte in seiner jetzigen Lage zur Besinnung kommen, sich über die Maßen schämen und den Fürsten verdächtigen würde, er bemitleide ihn nur, was ihn natürlich tief kränken mußte. ›Habe ich auch nicht schlecht daran getan, daß ich ihn bis zu solcher Begeisterung kommen ließ?‹ fragte sich der Fürst beunruhigt, konnte sich aber im nächsten Augenblick nicht mehr halten und brach in ein gewaltiges, wohl zehn Minuten anhaltendes Gelächter aus. Er wollte sich wegen dieses Gelächters Selbstvorwürfe machen, sah aber sofort ein, daß er dazu keinen Anlaß habe, weil ihm ja der General unendlich leid tat.
    Seine Ahnung ging in Erfüllung. Schon am Abend desselben Tages erhielt er einen sonderbaren Brief, der ebenso kurz wie energisch war. Der General teilte ihm darin mit, daß er sich auch von ihm für alle Zeiten trenne; er achte ihn und sei ihm dankbar, aber auch von ihm könne er nicht »Mitleidsbezeigungen annehmen, die die Würde eines ohnehin schon unglücklichen Mannes noch weiter herabdrücken«. Als der Fürst hörte, daß der Alte sich bei Nina Alexandrowna eingeschlossen habe, fühlte er sich seinetwegen beinahe beruhigt. Aber wir haben bereits gesehen, daß der General auch bei Lisaweta Prokofjewna Unheil anrichtete. Wir können hier keine Einzelheiten mitteilen, aber wir bemerken in aller Kürze, daß der Kernpunkt bei dieser Zusammenkunft darin bestand, daß der General

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