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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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vor. Vielleicht hatten Aglajas Schwestern aber auch absichtlich ein Wörtchen zuviel gesagt, um selbst etwas von Warwara Ardalionowna in Erfahrung zu bringen; möglich war schließlich auch, daß auch sie sich das echt weibliche Vergnügen nicht hatten versagen wollen, ihre Freundin, und wenn es auch eine Freundin aus der Kinderzeit war, ein klein wenig zu necken, denn in dieser ganzen Zeit hatten sie doch wenigstens ein bißchen von den Absichten der Freundin merken müssen.
    Andrerseits hatte sich vielleicht auch der Fürst geirrt, als er, in der Meinung, durchaus die Wahrheit zu sagen, Herrn Lebedew versicherte, er habe ihm nichts mitzuteilen und es habe sich mit ihm gar nichts Besonderes zugetragen. Tatsächlich war mit allen etwas sehr Seltsames vorgegangen: es hatte sich nichts zugetragen und gleichzeitig doch auch gewissermaßen sehr viel zugetragen. Letzteres hatte auch Warwara Ardalionowna mit ihrem zuverlässigen weiblichen Instinkt erraten.
    Wie es aber zugegangen war, daß in der Familie Jepantschin alle einmütig auf ein und denselben Gedanken gekommen waren, daß sich nämlich mit Aglaja etwas Wichtiges ereignet habe und ihr Schicksal sich nun entscheide, dies in der richtigen Ordnung darzulegen, ist sehr schwer. Aber kaum war dieser Gedanke bei allen gleichzeitig aufgeblitzt, als sofort alle zusammen behaupteten, sie hätten das alles schon längst deutlich vorhergesehen; alles sei schon seit dem »armen Ritter«, ja schon früher klar gewesen, nur hätten sie damals an eine solche Abgeschmacktheit noch nicht glauben mögen. Das versicherten die Schwestern; natürlich hatte auch Lisaweta Prokofjewna früher als alle andern alles vorhergesehen und erkannt, und es hatte ihr schon längst »das Herz weh getan«; aber mochte das nun schon längst der Fall gewesen sein oder nicht, jedenfalls war ihr der Gedanke an den Fürsten jetzt sehr unbehaglich, hauptsächlich deswegen, weil dieser Gedanke sie ganz durcheinanderbrachte. Es trat ihr hier eine Frage entgegen, die unverzüglich entschieden werden mußte; aber nicht nur die Entscheidung war unmöglich, sondern die arme Lisaweta Prokofjewna war trotz aller Bemühungen nicht einmal imstande, die Frage mit völliger Klarheit zu formulieren. Die Sache war sehr schwierig: war der Fürst akzeptabel oder nicht? War diese ganze Geschichte gut oder nicht? Wenn sie nicht gut war (und das unterlag keinem Zweifel), inwiefern war sie dann nicht gut? Wenn sie aber vielleicht doch gut war (was ebenfalls im Bereich des Möglichen lag), inwiefern war sie dann wieder gut? Das Oberhaupt der Familie selbst, Iwan Fjodorowitsch, war selbstverständlich zuerst höchst erstaunt, gestand dann aber auf einmal, daß auch ihm »bei Gott, immer schon etwas in dieser Art vorgeschwebt habe«, er habe es nicht wahrhaben wollen, aber dann habe es ihm »plötzlich doch vorgeschwebt«. Er verstummte sofort unter dem drohenden Blick seiner Gattin; aber wenn er auch am Vormittag verstummt war, so sah er sich doch am Abend, als er mit seiner Gattin unter vier Augen war, wieder genötigt zu reden und brachte mit besonderer Kühnheit einige überraschende Gedanken zum Ausdruck: »Im Grunde, wie steht die Sache denn...?« (Hier schwieg er eine Weile.) »All das ist ja gewiß sehr sonderbar, vorausgesetzt, daß es wahr ist, und ich will nicht darüber streiten, aber...« (Er schwieg von neuem.) »Andrerseits, wenn man die Dinge mit offenen Augen ansieht, ist ja der Fürst wirklich ein prächtiger Bursche, und... und, und, na, schließlich kommt auch der Name in Betracht, unser Familienname, die Heirat wird sozusagen als Hebung dieses in den Augen der Welt niedrig stehenden Namens erscheinen, das heißt, von diesem Gesichtspunkt aus, das heißt, weil... natürlich die Welt; die Welt ist eben die Welt. Der Fürst ist doch auch nicht ohne Vermögen, wenn es auch nicht sehr bedeutend ist. Er hat auch... auch... auch...« (Hier schwieg er lange und verstummte endgültig.) Nachdem Lisaweta Prokofjewna diese Äußerungen ihres Gatten angehört hatte, durchbrach ihr Affekt alle Schranken.
    Ihrer Meinung nach war alles, was vorgegangen war, ein unverzeihlicher, geradezu verbrecherischer Unsinn, ein dummes, abgeschmacktes Hirngespinst. »Erstens ist dieser Jammerfürst ein kranker Idiot, zweitens ein Dummkopf; er kennt weder die Welt, noch besitzt er eine Stellung in der Welt; wem soll man ihn präsentieren, wohin mit ihm? Er hat eine ganz unerlaubte demokratische Gesinnung und nicht den geringsten

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