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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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Damen blickten aus ihrer Ecke auf ihn hin wie auf einen Irrsinnigen, und die alte Bjelokonskaja gestand später, wenn die Sache noch eine Minute länger gedauert hätte, so hätte sie sich durch die Flucht gerettet. Die alten Herren waren zuerst vor Staunen ganz fassungslos; Iwan Fjodorowitschs Vorgesetzter, der General, sah den Fürsten von seinem Stuhl aus mit unzufriedener, strenger Miene an. Der Oberst saß völlig regungslos da. Der Deutsche war ganz blaß geworden, lächelte aber immer noch heuchlerisch und betrachtete die andern, wie sie jetzt wohl reagieren würden. Übrigens hätte die ganze Sache und der »ganze Skandal« durch ein sehr gewöhnliches, natürliches Mittel erledigt werden können, vielleicht sogar in einem Augenblick; Iwan Fjodorowitsch nämlich, der sehr erstaunt war, aber sich schneller als die übrigen gefaßt hatte, hatte schon mehrmals den Fürsten zu hemmen versucht; da seine Bemühungen keinen Erfolg gehabt hatten, so ging er jetzt mit einer entschiedenen und festen Absicht auf ihn zu. Noch ein Augenblick, und er hätte nötigenfalls vielleicht den Fürsten in freundschaftlicher Weise unter dem Vorwand seiner Krankheit hinausgeführt, was vielleicht sogar wirklich die Wahrheit war und wovon auch Iwan Fjodorowitsch im stillen fest überzeugt war... Aber die Sache nahm eine andere Wendung.
    Gleich zu Anfang, als der Fürst in den Salon getreten war, hatte er sich möglichst weit entfernt von der chinesischen Vase hingesetzt, mit der ihm Aglaja eine solche Angst eingejagt hatte. Konnte man wohl glauben, daß nach Aglajas gestrigen Worten sich bei ihm eine unauslöschliche Überzeugung, eine sonderbare, wunderliche Ahnung festgesetzt hatte, er werde unbedingt morgen diese Vase zerbrechen, möge er sich auch noch so sehr von ihr fernhalten und das Unglück zu vermeiden suchen? Und doch war es so. Im Laufe des Abends hatten sich andere starke, aber lichte Empfindungen in seine Seele eingedrängt; wir haben davon bereits gesprochen. Er hatte seine Ahnung vergessen. Als er von Pawlischtschew reden hörte und Iwan Fjodorowitsch ihn von neuem zu Iwan Petrowitsch führte und diesen auf ihn aufmerksam machte, da hatte er sich näher an den Tisch herangesetzt und zufällig gerade auf den Sessel neben der gewaltigen, schönen chinesischen Vase, die auf einem Sockel stand, beinah neben seinem Ellbogen, ganz dicht hinter ihm.
    Bei seinen letzten Worten erhob er sich plötzlich von seinem Platz, machte eine unvorsichtige Bewegung mit dem Arm und mit der Schulter, und ... es ertönte ein allgemeiner Schrei! Die Vase schwankte, anfangs gleichsam noch unschlüssig, ob sie nicht einem der alten Herren auf den Kopf fallen sollte, aber auf einmal neigte sie sich nach der entgegengesetzten Seite, nach der Seite des im letzten Augenblick entsetzt wegspringenden Deutschen, und fiel zu Boden. Ein Gepolter, ein Aufschrei, die kostbaren Scherben zerstreut auf dem Teppich, Bestürzung, Erstaunen, – oh, und was in der Seele des Fürsten vorging, das läßt sich schwer schildern, doch ist eine solche Schilderung auch kaum nötig! Aber wir dürfen eine sonderbare Empfindung nicht unerwähnt lassen, die ihn gerade in diesem Augenblick überkam und ihm auf einmal aus der Menge all der anderen unklaren und seltsamen Empfindungen mit aller Deutlichkeit entgegentrat: weder das Gefühl der Scham noch der Verdruß über das erregte Ärgernis, noch die Furcht vor den Folgen, noch die Plötzlichkeit des Ereignisses, nichts wirkte auf ihn so stark wie der Gedanke, daß die Prophezeiung nun doch eingetroffen sei! Was eigentlich an diesem Gedanken ihn so sehr packte, das hätte er sich selbst nicht klarmachen können; er fühlte nur, daß er im tiefsten Herzen ergriffen war, und stand da wie von einer mystischen Angst erfaßt. Noch ein Augenblick, und es war ihm, als ob sich alles vor ihm weitete und an die Stelle der Angst Licht und Freude und Entzücken träten; sein Atem stockte, und... aber der kritische Augenblick ging vorüber. Gott sei Dank, das Befürchtete war nicht eingetreten! Er schöpfte wieder Atem und blickte rings um sich.
    Lange schien es, als verstünde er das wirre Treiben nicht, das um ihn herum entstanden war, das heißt, er verstand es vollkommen und sah alles, aber er stand da, als sei er dabei ganz unbeteiligt, als gehe ihn die Sache in keiner Weise etwas an, als sei er wie der Unsichtbare im Märchen in das Zimmer getreten und beobachtete dort ihm fremde, aber interessante Menschen. Er sah, wie die

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