Der Idiot
war davongelaufen.
»Mütterchen, Königin, Großmächtige!« heulte Lebedew, der auf den Knien vor Nastasja Filippowna herumkroch und die Hände nach dem Kamin ausstreckte. »Hunderttausend, hunderttausend! Ich habe sie selbst gesehen, sie sind vor meinen Augen eingepackt worden. Mütterchen! Barmherzige! Erlaube mir, in den Kamin hineinzugreifen, ich will ganz und gar hineinkriechen, meinen ganzen grauen Kopf will ich ins Feuer hineinlegen! ... Ich habe ein krankes Weib, das nicht gehen kann, und dreizehn Kinder, für die keine Mutter sorgt, meinen Vater habe ich in der vorigen Woche begraben, wir haben nichts zu essen, Nastasja Filippowna!«
Unter solchem Klagegeschrei wollte er schon zum Kamin hinkriechen.
»Weg!« rief Nastasja Filippowna und stieß ihn fort. »Tretet alle auseinander! Ganja, was stehst du da? Schäm dich nicht, greif hinein! Es handelt sich um dein Glück!«
Aber Ganja hatte schon zuviel an diesem Tage und Abend ertragen und war auf diese letzte, unerwartete Prüfung nicht vorbereitet. Die Menge trat nach beiden Seiten auseinander, und er blieb Auge in Auge mit Nastasja Filippowna stehen, drei Schritte von ihr entfernt. Sie stand dicht beim Kamin und wartete, ohne ihren brennenden, festen Blick von ihm abzuwenden. Ganja, in Frack und Handschuhen, den Hut in der Hand, stand, ohne ein Wort zu sagen und ohne eine Antwort zu geben, vor ihr, hatte die Arme gekreuzt und blickte ins Feuer. Ein irres Lächeln huschte über sein Gesicht, das totenblaß geworden war. Rogoshins ganze Rotte eilte lärmend, polternd und schreiend hinter ihm und Nastasja Filippowna her durch die Zimmer dem Ausgang zu. Im Wohnzimmer reichten ihr die Mädchen den Pelz, die Köchin Marfa kam aus der Küche herbeigelaufen. Nastasja Filippowna küßte sie alle.
»Aber wollen Sie uns denn wirklich ganz verlassen, Mütterchen? Und wohin gehen Sie denn? Und noch dazu am Geburtstag, an einem solchen Tage!« fragten die weinenden Mädchen, indem sie ihr die Hände küßten.
»Ich gehe auf die Straße, Katja, du hast es ja gehört, da ist mein Platz; oder aber ich werde Wäscherin! Mit Afanassij Iwanowitsch bin ich fertig! Grüßt ihn von mir, und gedenkt meiner nicht im Bösen ...«
Der Fürst eilte, so schnell er nur konnte, nach dem Portal zu, wo alle dabei waren, sich in vier mit Glöckchen behängte Troikas zu verteilen. Der General, der ihm nachlief, holte ihn noch auf der Treppe ein.
»Ich bitte dich, Fürst, komm zur Besinnung!« sagte er und ergriff ihn bei der Hand. »Laß doch das Weib laufen! Du siehst ja, was sie für eine ist! Ich rede zu dir wie ein väterlicher Freund ...«
Der Fürst sah ihn an, riß sich aber, ohne ein Wort zu sagen, los und lief nach unten.
Am Portal, von dem die Troikas gerade abgefahren waren, sah der General noch, wie der Fürst die erste beste Droschke nahm und dem Kutscher zurief: »Nach Jekaterinhof, hinter den Troikas her!« Dann kam der mit einem grauen Traber bespannte Wagen des Generals vorgefahren und brachte den General nach Hause, mit neuen Hoffnungen und Plänen und mit dem Perlenschmuck, den der General doch nicht vergessen hatte mitzunehmen. Mitten in seinen Spekulationen tauchte auch Nastasja Filippownas verführerisches Bild ein paarmal vor seinem geistigen Auge auf, und er seufzte:
»Schade, wirklich schade! Ein verlorenes Weib! Ein verrücktes Weib! Nun, der Fürst kann jetzt eine Nastasja Filippowna nicht brauchen ... Vielleicht ist es sogar gut, daß die Sache eine solche Wendung genommen hat.«
In ähnlicher Weise widmeten noch zwei andere Gäste Nastasja Filippownas, die sich dafür entschieden hatten, eine Strecke zu Fuß zu gehen, ihr ein paar moralische Worte als Nachruf.
»Wissen Sie, Afanassij Iwanowitsch, bei den Japanern soll es etwas Ähnliches geben«, sagte Iwan Petrowitsch Ptizyn. »Da geht, wie es heißt, der Beleidigte zu dem Beleidiger hin und sagt zu ihm: ›Du hast mich beleidigt, deshalb bin ich hergekommen, um mir vor deinen Augen den Bauch aufzuschlitzen‹, und mit diesen Worten schlitzt er sich wirklich vor den Augen des Beleidigers den Bauch auf und fühlt dabei wahrscheinlich eine außerordentliche Befriedigung, als habe er sich tatsächlich gerächt. Es gibt sonderbare Charaktere auf der Welt, Afanassij Iwanowitsch!«
»Und Sie meinen, daß auch hier etwas Derartiges vorliegt?« erwiderte Afanassij Iwanowitsch lächelnd. »Hm! Sie sind sehr geistreich und haben einen sehr schönen Vergleich gebracht. Sie haben aber doch selbst gesehen,
Weitere Kostenlose Bücher