Der Idiot
einige Worte gewechselt worden seien, habe Ganja beim Fürsten zwei Stunden lang gesessen und die ganze Zeit über bitterlich geweint. Beide seien in aller Freundschaft voneinander geschieden.
Diese Nachricht, die allen Mitgliedern der Familie Jepantschin zu Ohren gekommen war, erwies sich, wie sich in der Folgezeit bestätigte, als völlig richtig. Es war allerdings merkwürdig, daß derartige Nachrichten sich so schnell verbreiten und bekannt werden konnten; so wurde zum Beispiel alles, was in Nastasja Filippownas Wohnung vorgegangen war, in der Jepantschinschen Familie beinah schon am nächsten Tag bekannt, und zwar in ziemlich genauen Details. Hinsichtlich der Nachrichten über Gawrila Ardalionowitsch hätte man allerdings annehmen können, daß sie den Jepantschins von Warwara Ardalionowna zugetragen worden seien, die auf einmal bei den Fräulein Jepantschin aufgetaucht war und sogar sehr bald mit ihnen auf recht vertrauten Fuß stand, worüber sich Lisaweta Prokofjewna höchlichst wunderte. Aber obgleich Warwara Ardalionowna es aus irgendeinem Grunde für nötig hielt, mit den Fräulein Jepantschin in so nahe Beziehungen zu treten, so würde sie doch über ihren Bruder mit ihnen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gesprochen haben. Sie war ebenfalls in ihrer Art recht stolz, obwohl sie an einer Stelle Freundschaft schloß, von wo ihr Bruder beinah weggejagt worden war. Auch früher schon war sie mit den Fräulein Jepantschin bekannt gewesen, aber sie hatten einander nur selten gesehen. Im Salon zeigte sie sich übrigens auch jetzt kaum, sondern benutzte, als wollte sie nur auf einen Augenblick vorsprechen, die Hintertreppe. Lisaweta Prokofjewna war ihr weder früher zugetan gewesen, noch war sie es jetzt, obwohl sie Nina Alexandrowna, Warwara Ardalionownas Mutter, sehr hochschätzte. Sie wunderte und ärgerte sich zugleich und schrieb die Freundschaft mit Warja den Launen und der Herrschsucht ihrer Töchter zu, die »sich immerzu etwas Neues ausdenken mußten, um ihr in die Quere zu kommen«. Warwara Ardalionowna jedoch setzte trotzdem sowohl vor als auch nach ihrer Verheiratung ihre Besuche bei ihnen fort.
Aber es war nach der Abreise des Fürsten ungefähr ein Monat verflossen, da erhielt die Generalin Jepantschina einen Brief von der alten Fürstin Bjelokonskaja, die vierzehn Tage vorher nach Moskau zu ihrer ältesten dort verheirateten Tochter gefahren war, und dieser Brief übte eine starke Wirkung auf sie aus. Obwohl sie weder ihren Töchtern noch Iwan Fjodorowitsch etwas daraus mitteilte, merkten ihre Angehörigen doch an vielen Anzeichen, daß sie besonders animiert, ja aufgeregt war. Sie fing an, mit den Töchtern in einer ganz merkwürdigen Weise zu reden, immer über ganz ungewöhnliche Gegenstände; sie hatte offenbar die größte Lust, sich auszusprechen, bezwang sich aber aus irgendeinem Grunde. An dem Tage, an dem sie den Brief erhalten hatte, war sie gegen alle sehr zärtlich und küßte sogar Aglaja und Adelaida; es machte den Eindruck, als täte sie vor ihnen wegen irgend etwas Buße, aber weswegen eigentlich, das wurde ihnen nicht klar. Sogar gegen Iwan Fjodorowitsch, der bei ihr einen ganzen Monat lang in Ungnade gewesen war, wurde sie auf einmal nachsichtig. Natürlich ärgerte sie sich gleich am folgenden Tage furchtbar über ihre gestrige Sentimentalität und fand noch vor dem Mittagessen Zeit, sich mit allen zu zanken; aber gegen Abend hellte sich der Horizont wieder auf. Überhaupt befand sie sich die ganze folgende Woche über in recht guter Laune, was bei ihr schon lange nicht dagewesen war.
Aber nach einer weiteren Woche traf von der Fürstin Bjelokonskaja ein zweiter Brief ein, und diesmal entschloß sich die Generalin dazu, sich auszusprechen. Sie erklärte feierlich, die alte Bjelokonskaja (anders bezeichnete sie die Fürstin niemals, wenn sie in Abwesenheit derselben von ihr sprach) habe ihr sehr tröstliche Nachrichten über diesen ... »Sonderling, na ja, über den Fürsten« zugehen lassen. Die Alte habe in Moskau Nachforschungen nach ihm angestellt, Erkundigungen über ihn eingezogen und sehr Gutes über ihn in Erfahrung gebracht; der Fürst habe sich schließlich auch bei ihr selbst eingefunden und auf sie einen sehr günstigen Eindruck gemacht. Das war auch daraus zu ersehen, daß sie ihn eingeladen hatte, sie täglich zwischen ein und zwei Uhr mittags zu besuchen, »und er kommt nun alle Tage zu ihr angelaufen, und sie ist seiner noch nicht überdrüssig geworden«,
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