Der Implex
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Je größer unter diesen Bedingungen die Reichweite derjenigen Wirtschaftsweise wird, die als alternativlos gilt, weil sie das Gros der warenförmigen Reichtümer hervorbringt, von denen tatsächlich alle leben, je mehr also die Welt der kapitalistischen Produktion und Distribution territorial, strukturell, dynamisch und historisch zusammenfällt mit der ersten wirklichen Weltgesellschaft, desto mehr Leute werden von diesem ebenso übermächtigen wie äußerst störanfälligen Umschlag ungeheurer Quantitäten zu neuen Gesellschaftsqualia in eine große Vergleichsmaschine gesaugt, die alle Unterschiede macht, von denen noch irgendwer weiß, und keinen mehr, den irgendwer begreift. Je größer der Abstand zwischen der mutagenen und proteischen Gewalt transnationaler Produktionsumstellungen, Verteilungsregularien, Verkehrswegverkürzungen einerseits und der Enge und Alternativlosigkeit des Entscheidungsspektrums für abgehängte Menschenmillionen andererseits, desto unplausibler wird für jeden Versuch politischer Kritik am unvernünftig Gegebenen jeder Versuch, die Armut ohne den Reichtum oder den Reichtum ohne die Armut zu untersuchen. Lokal handeln, global denken: Die schöne Parole zerbricht in der Praxis schon am naiven Bürgerinitiativenfuror etwa einer norddeutschen Arbeitsgruppe gegen die Gefahren der Gentechnik in der Landwirtschaft, bei der vor lauter Sorgen um Natur und Mensch niemand etwas weiß von Sachverhalten wie dem, daß zwischen 1970 und 2001 die Produktivität des durchschnittlichen Beschäftigten in der afrikanischen Agrarwirtschaft um zwanzig Prozent gesunken ist, aus keineswegs naturgegebenen Gründen. Die reichen Protestbastler und Bedenkenträgerinnen können sich ihr »globales Denken« am Buffet der guten Zwecke zusammenstellen, ohne mit ihren Besorgnissen jemals auch nur ein Promille der Reichweite der Kausalketten abzudecken, in denen die Anliegen festhängen.
Instrumentelles und operatives Wissen, Technik, sozial organisierter Naturzugriff: Wie immer man den Komplex nennen will, man hat ihn in den reichen Gegenden innerhalb einer Menschengeneration rasanter erweitert als in jedem voraufgegangenen Geschichtsabschnitt – und ahnt dort gerade unter denen, die den Folgen dieser Erweiterung skeptisch gegenüberstehen, zugleich nichts davon, wie dieser Umstand mit der Paradoxie vermittelt ist, daß in armen Gegenden umgekehrt, siehe oben, etwa der Pro-Kopf-Ertrag der Landbebauung schwindet statt sich mehrt und noch ganz andere Werte, statt als Profit realisierbar zu sein, schlichtweg vernichtet werden.
Wie nennt man so einen Zusammenhang? Ist er mit Kategorien wie »Ausbeutung« oder dem komplementären »Entkopplung« zu fassen? Herrscht Unterdrückung, oder quält Anomie? Sind die Tatbestände, die diese Kategorien meinen, eventuell enger verschränkt, als sowohl die Brot-für-die-Welt-Barmherzigkeit einiger weniger Restchristen unter den Wohlstandsbürgern wie der klassische Antiimperialismus der Linken bislang verstehen können? Was hat sich geändert, seit die Schläger der East India Company den Webern von Bengalen die Hände zerbrachen und deren Webstühle zerstörten, um die indische Baumwolle vom Rohstoff einer Regionalwirtschaft in ein Tauschgut für äußerst einseitige Weltmarkttransaktionen zu verwandeln? Ist die Veränderung, die das Werden der Weltgesellschaft gebracht hat, nur eine des Umfangs der Raubzüge und der zunehmenden Brutalität der sie absichernden Maßnahmen oder eine der grundsätzlichen Beschaffenheit der Verwertung des Werts? Braucht man eine neue Theorie, um das, was sich an diesen Zuständen mit politischen Mitteln ändern ließe, vom historisch Invarianten zu sondern, oder liegen bereits Theorien herum, die man nur anders lesen lernen müßte, damit die herrschenden Zustände ihnen die verwundbaren Seiten offenbaren? Braucht man überhaupt irgendwelche Theorien, um das, was ist, an seiner Vergänglichkeit zu fassen zu kriegen, oder kann man, was nottut, an den Tatsachen selbst ablesen?
»Globalisierung«, was immer das Wort sonst bedeuten mag, heißt jedenfalls nicht: Vereinheitlichung der Ansichten der Menschen über die gerechten und ungerechten Zusammenhänge, in denen sie stehen. Die Teepflückerin im Punjab, der Fahrradkurier in Kalifornien und die Soziologieprofessorin in Tschechien nehmen an dem, was ihnen das Leben verdirbt, auf sehr unterschiedliche Weise Anstoß. Sie halten ganz verschiedene
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