Der Implex
dieselben Fähigkeiten angewiesen, die das Übel hervorgebracht haben, werden die Leute es beseitigen müssen; aus der Atomenergienutzung und anderem, das sich als falsch erwiesen hat, kann man aussteigen, aus der Geschichte nicht; wer den schlecht eingerichteten Staat nicht will, wird den gut eingerichteten wollen müssen, solange der nicht die Leute dahin gebracht hat, daß sie gar keinen mehr brauchen (geschichtliche Entwicklungsstufen zu überspringen ist natürlich nicht verboten oder unmöglich, aber auch zum Überspringen muß man erst einmal aufstehen). Malerische Gruselberichte darüber, daß noch heute in Indien Familien für Sklavenhalter schuften, die ihren Vorfahren irgendwann einmal Geld geliehen haben, täuschen die Leute in den reicheren Ländern darüber, daß auch hier das Vergangene das Gegenwärtige regiert und die Zukunft kapitalisiert wird; dies alles ist möglich, weil die Menschen das Probehandeln kennen, weil sie in mehr Zeiten und an mehr Orten leben als im Hier und Jetzt.
Intelligenz, die Fähigkeit, zu speichern, etwas zu wollen, vorauszusehen, sich zu erinnern und das Ganze zu verrechnen, ist nach allem, was wir wissen, selten im Kosmos; daß es sie überhaupt irgendwann irgendwo gibt, ist sowenig zwangsläufig, wie daß man von ihr Gebrauch macht. Sie ist naturgeschichtlich und zivilisationshistorisch etwas Gewordenes, sie kann wieder verschwinden.
Leben heißt »Stirb und werde«, heißt auch: Überraschen- und Überraschtwerdenkönnen. Aber nur wer keine Angst haben muß, wird spontan sein können: Die Sicherheit, die Marx und Engels meinten, ist einfach die Struktur, das Skelett, der Kuchenboden, die Möglichkeitsbedingung des Unvorhergesehenen; was nicht sterben will, braucht Halt, und wer sich bewegen möchte, muß sich von etwas abstoßen können, auf das Verlaß ist.
Willkür dagegen ist das Merkzeichen der Entropie im Sozialen, eine Verfallserscheinung von Gemeinwesen, deren Machtausübende die Legitimation verloren haben, die sie einst als Funktionsträger notwendig arbeitsteiliger Selbstherstellungs- und Selbsterhaltungsbeschäftigungen des Gemeinwesens überhaupt zur Macht hat gelangen lassen; wo die Unordnung sich als Ordnung ausgibt, aber gewaltsam gestützt werden muß, um nicht zu kollabieren, und die Entscheidungen, die von den Mächtigen getroffen werden, nicht mehr zum Nutzen derer, die gehorchen sollen, ausschlagen, ist der Energie- und Informationsaustausch mit der Umwelt des Gemeinwesens (zu der ja nicht nur die Natur gehört, sondern auch das, was an Nichtgemeinschaftlichem in jedem und jeder so vorgeht) gestört, weil sich das Gemeinwesen gegen Energie und Information abgedichtet hat, welche die Herrschaft stören könnten. Dann steht die Zeit gegen die herrschende Scheinordnung, aber das heißt nicht, daß ihrem Verfall etwas Besseres folgen muß; im Gegenteil: Wenn sich niemand findet, der das Bessere einrichtet, wird der Eindruck entstehen, daß die im Versinken begriffene Scheinordnung dem, was sie ablösen muß, immer noch überlegen war, und dann werden Leute in gutem Glauben die Agonie des Unfugs nur verlängern.
Das Unrecht ist auf sie und ihre Sehnsucht nach irgendeiner Art Normalität angewiesen; es schätzt keine Überraschungen, weil es niemandem Rechtssicherheit zubilligt, nicht einmal denen, die Privilegien haben, die das Mehrprodukt aneignen, die andere für sich arbeiten lassen und so fort. Unrecht ist sowohl als Herrschaft wie als Ausbeutung wie als Ausgrenzung stets auf die leere Dauer ungleicher Verhältnisse aus, auf haltbare Erpressung, auf die rücksichts- und voraussichtslose Selbstverewigung. Unrecht, weil es unvernünftig und, solange Leute denken können, immer auch instabil ist, sei’s, weil jemand es durch Recht ersetzen will, sei’s, weil Verbrechen in potentieller Konkurrenz die Lust wecken, selbst welche zu begehen, muß die Menschen da, wo es herrscht, Tag und Nacht damit beschäftigen, es zu stabilisieren, auf ihre eigenen Kosten oder die Dritter, in unterworfenen, ausgebeuteten oder ausgegrenzten Nachbargemeinwesen. Deshalb muß das Unrecht weg, wo Menschen die Ursachen der Dinge suchen, menschenwürdige Zwecke setzen, menschenwürdige Gründe artikulieren, um die Menschheit als Gattung überhaupt erst herzustellen.
Es muß weg, wo Menschen als Menschen leben wollen.
DANK
Hermann L. Gremliza, Henning Ritter, Harlan Ellison, Susan Ellison, Michael Marano, Iris Kirchner, Josef Kirchner, Andrea Moser, Manfred Tobollik, Thomas
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