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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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Scherbenmonaden verhindert werden könne, ist eine der Erzlügen der Propaganda sämtlicher historisch nachweisbarer Klassengesellschaften – in Wirklichkeit braucht nicht einmal jede Erlösungsreligion etwas wie die im Katholizismus zentrale Sanktion der Höllenstrafe, um geglaubt zu werden. Die Zeugen Jehovas zum Beispiel kennen gar keine Hölle (ewiges Leiden der Sünder widerspräche ihrer Evangelienauslegung zufolge dem Generalpostulat der göttlichen Liebe), und bei den Mormonen, wir erinnern daran gern so oft wie möglich, findet sich im Jenseits eine sanft meritokratische, niemanden im Schwefelregen stehenlassende Lösung, die ein bißchen an Ulbrichts »Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung« erinnert: Nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Verstorbenen wird in die » outer darkness « geworfen, echte Schwerstkriminelle ohne Reue, die sich als unrettbar gesetzesfeindlich erwiesen und die göttliche Gnade selbst im Stande völliger Gewißheit ihrer Tatsächlichkeit geleugnet haben. Für alle anderen gibt es, so der Mormonenprophet Joseph Smith in seinem schönen Handbuch »Lehre und Bündnisse«, die sogenannten » degrees of glory «: drei verschiedene Himmel mit unterschiedlich ausgeprägten Annehmlichkeiten – das edelsteinbesetzte »Celestial Kingdom« für die Superfrommen, das »Terrestrial Kingdom« für die normalrechtschaffenen Gläubigen und schließlich das vergleichsweise schäbige »Telestial Kingdom«, einen Dritter-Klasse-Himmel, in den außer denjenigen armen Seelen, die niemals ein Wort von Jesus erfahren haben, sogar so fragwürdige Gestalten wie Lügner, Zauberer, Ehebrecher und Unternehmensberater Aufnahme finden. Man schaut dort, im Himmelskeller, zwar nicht gerade unter Hallelujagesängen ins Angesicht Gottes, aber immerhin: Selbst in dieser Abteilung herrscht nach Smith ein »Glanz, der über allen irdischen Verstand geht« (also das spirituelle Äquivalent des schönen alten bolschewistischen Scherzes, wonach man nach der Revolution auf Kloschüsseln aus Gold sitzen wird).
    Der moraltheologische Kniff dabei, der sich bei ein wenig Phantasie und gutem Willen leicht ins Soziale übersetzen läßt, ist ein sehr simpler – die Strafe für die Deklassierten in den schlechteren Königreichen nach dem Gerichtstag besteht schlicht darin, daß sie wissen: Es gibt etwas Besseres, in dem sie es sich jetzt behaglich einrichten könnten, wenn sie sich nur ein bißchen mehr zusammengerissen hätten.
     
    Die Voraussetzung auf Seiten Gottes für eine dermaßen schlaue Politik nennen die mormonischen Monotheisten »Allmacht«. Ins Gesellschaftliche transponiert wird man vom explizierten terrestrischen, telestialen und celestialen Implex des seit der Renaissance begonnenen Heraustretens des Menschen aus dem Naturzustand verlangen, daß er auf staatsförmig verfaßte Höllenstrafen so gut verzichten kann wie der Mormonenweltherrscher auf transzendente, und nimmt Sozialismen und ähnlichen Verbesserungsversuchen autoritäre, ja schon mild dirigistische Eingriffe ins Gesellschaftliche gern übler als dem Naturwüchsigen noch das gröbste Unrecht. Allmacht ist nicht erfordert, damit die soziale Hölle wegfällt, aber das, was Marx und Engels verlangt haben: »Überfluß«. Der ist nichts Nebulöses, Unquantifizierbares, sondern bloß soviel Mehrprodukt, daß man seine Verwandlung in Mehrwert und andere auf Ausbeutung und mit dieser korrelierte Unterdrückung angewiesene abstrakte Zugewinnformen nicht mehr braucht, um das Gemeinwesen in Betrieb und zusammenzuhalten. Der Überfluß tut dann, was sein Name sagt: Er fließt, wenn mehr gesellschaftliche Arbeitszeit in den Schutz der Menschen vor lebensbeschädigenden Zufällen, in Erziehung, Kunst, Verkehrswege, menschenwürdigen Wohnraum inklusive Städtebau et cetera gesteckt wird; aber das tut er, weil diese Dinge aufwendiger sind als selbst der irrste Luxus für ein paar Superreiche, gewiß nicht ganz so rasch wie der Goldregen des Geldverprassens in den kapitalistischen Stoßzeiten.
     
    Ein bißchen geruhsamer wird die Sache »Fortschritt«, auf die man auch in Freiheit nicht wird verzichten wollen, schon werden, aber da sie immer schon Maschine zum Zweck der Herstellung von Wohlfahrt und Freiheit war und beide Muße implizieren, hieße das nur, daß er endlich so funktioniert, wie er soll. Aus der einmal geknackten Warenform fallen vielleicht weniger Süßigkeiten, als man auf den luxuriöseren Plätzen der unfreien

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