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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sondern Bartolomeu. Obwohl Miguel wusste, dass das Geschäft von seinem Großvater den Namen erhalten hatte, der es auf seinen einzigen Sohn, nämlich Miguels Vater, übertragen hatte, änderte das nichts an dem bitteren Beigeschmack. Da konnte Senhor Furtado ihm den Aufenthalt versüßen, wie er wollte.
    Kaum hatte er an den Mann gedacht, eilte dieser ihm auch schon entgegen. Der Inder erkundigte sich wortreich nach Miguels Wohlbefinden, ließ sich in allen Details schildern, wie es ihm in seinem Haus und auf dem Weg hierher ergangen war, und führte ihn schließlich in einen Raum, der für ein Mittagessen hergerichtet war.
    »Nehmt es mir nicht übel, mein großzügiger Freund, aber ich habe gerade erst ein Frühstück genossen, das alles in den Schatten stellte, was man mir daheim je serviert hat. Mir wäre jetzt eher nach ein bisschen Bewegung. Gibt es hier einen Markt, über den wir schlendern könnten?«
    »Um diese Zeit?«, rief Furtado erschrocken aus, bevor er sich auf seine Unterwürfigkeit besann und sagte: »Aber ja, ganz in der Nähe ist ein schöner Markt. Aber gegen Mittag ist dort nicht mehr viel los, den Händlern wie den Kunden wird es dann zu heiß.«
    »Das macht mir nichts. Aber wenn es Euch zu anstrengend ist, gehe ich sehr gern auch allein.«
    »Auf gar keinen Fall, mein Lieber. Da laufen Bettler herum und allerlei Gesindel, und Ihr kennt die Landesgepflogenheiten noch zu wenig, um Euch ihrer Angriffe erwehren zu können. Ich begleite Euch.«
    Und so geschah es. Furtado hatte nicht übertrieben, als er von »Angriffen« gesprochen hatte. Wie die Fliegen fielen Verstümmelte und Verdreckte über ihn her. Ausgemergelte Frauen streckten ihm ihre Säuglinge entgegen, halb verhungerte Männer begrabschten ihn mit Händen, die in eitrigen Verbänden steckten. Es war grauenhaft, doch Senhor Furtado wehrte sie alle ab, meistens mit böse gezischten Worten, manchmal auch mithilfe einer kleinen Gerte, die er offensichtlich im Ärmel versteckt hatte. Nachdem der erste Schreck über diese Zustände verflogen war, begann Miguel, sich die Auslagen der Händler anzusehen. Da gab es Stände, die auf Cajú-Nüsse spezialisiert waren, und solche, die ausschließlich
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verkauften, eine Art Kautabak aus der Betelnuss. Da gab es Türme von Ananas, Bananen und Mangos und säckeweise Gewürze, die in der Heimat ein Vermögen wert waren. Als Miguel am Tisch eines Mannes stand, der von Fliegen umschwärmte getrocknete Krabben und Fische feilbot, ließ ihn ein heftiger Schwindel innehalten.
    Miguel schwankte. Noch immer meinte er das Auf und Ab der Dünung zu spüren, den Rhythmus des Meeres, dem er sich auf der Galeone so leicht angepasst hatte. Jetzt, nach den langen Monaten auf See, brachte ihn die Abwesenheit des Wellengangs aus dem Gleichgewicht. Und dieser Schwindel hatte nicht allein seinen Körper ergriffen. Auch sein Kopf schwirrte vor all den leuchtenden Farben, den fremdartigen Gerüchen, dem Gedränge und Gelärme. Was immer er in Goa erwartet hatte – so lebendig und bunt hatte er sich das Land bestimmt nicht vorgestellt. Staunend taumelte er weiter, und einmal griff er sogar nach Senhor Furtados Arm, um den Halt nicht zu verlieren.
    »Ich hatte Euch ja gewarnt. In der Mittagshitze bleibt man besser irgendwo im Schatten und ruht.«
    Miguel hatte nicht die Energie, seinem Gastgeber zu erklären, dass es noch die Nachwirkungen der Seereise waren, die ihm so zusetzten. »Ja, vielleicht ist es besser, wir gehen wieder zum Kontorhaus.«
    Sie hatten bereits die Hälfte des Weges zurückgelegt, als zwei Sänftenträger sich lauthals ihren Weg durch die Menge bahnten. In der Sänfte saß eine indische Dame, ganz in Seide gehüllt und das Gesicht hinter einem Schleier verborgen. Miguel blieb stehen und glotzte die Frau schamlos an. Sie trug den Kopf hoch erhoben und schien unbeirrt geradeaus zu schauen, obwohl sie sicher aus den Augenwinkeln wahrnahm, welche Faszination sie auf die Menschen ausübte. Aus ihrer Haltung sprach grenzenlose Verachtung für alles, was um sie herum geschah, und ihre anmaßende Art irritierte Miguel. Doch als die Sänfte an Miguel vorüberzog, fiel sein Blick auf ihre Füße: nackte, zierliche, zarte, schutzlose Füßchen, deren Zehen mit Goldringen geschmückt waren und die alle Arroganz der Inderin Lügen straften.
    »Wer ist diese Frau?«, wandte er sich an Senhor Furtado. »Ich muss sie kennenlernen.«

[home]
3
    A mba setzte sich auf die gemauerte Bank ihrer Veranda, lehnte

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