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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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erschöpft den Kopf gegen die Hauswand und schloss die Augen. Sie atmete tief durch und sog so viel wie möglich von der feucht-würzigen Waldluft ein. Es lag die Verheißung von Wachstum in diesem Duft regennasser Erde und sattgrünen Blattwerks. Amba liebte dieses Aroma, es schenkte ihr den inneren Frieden zurück, der ihr im Laufe des Tages abhandengekommen war.
    Denn Ausflüge in die Stadt ermüdeten sie wie nichts sonst auf der Welt. Es war laut und schmutzig dort und so überfüllt, dass man immerzu abscheuliche Dinge von anderen Menschen sah, roch oder hörte, die besser privat geblieben wären. Außer ihr schien sich jedoch niemand daran zu stören, sich inmitten einer ungepflegten und ungehobelten Masse aufzuhalten. Im Gegenteil, die Leute waren ja ganz versessen darauf, möglichst eng aufeinanderzuhocken. Es war ekelhaft. Wie eine verlauste Affenbande. Oder eine Meute räudiger Hunde. Sie würde nie verstehen können, wie man sich freiwillig in schlecht belüfteten Behausungen zusammenpferchen lassen konnte, noch dazu in einem Sumpfloch wie Govepuri. Andauernd dezimierte die Brechruhr, die die Portugiesen »Cholera« nannten, ganze Stadtviertel um mehr als die Hälfte ihrer Bewohner, und dass die Menschen weiterhin dort blieben, war ja Beweis genug dafür, dass ihnen die giftige Luft den Verstand vernebelt hatte.
    Leider ließen sich gelegentliche Ausflüge in die Stadt nicht vermeiden. Heute war es besonders grässlich gewesen. Amba hatte bewusst die Mittagszeit für ihren Besuch gewählt, weil dann die wenigsten Leute unterwegs waren und man sie nicht so anstarrte. Doch die Hitze hatte auch sie und ihre Sänftenträger sehr erschöpft, und »Senhor Rui«, wie er sich gern nennen ließ, hatte sich noch unausstehlicher als sonst aufgeführt. Der Mann wurde von Mal zu Mal dreister, sie würde sich dringend etwas einfallen lassen müssen, um ihn wieder in seine Grenzen zu verweisen. Rujul, wie er eigentlich hieß, war schließlich nichts weiter als ein Emporkömmling, der aus einer niederen Kaste von Handwerkern stammte und der die Unkenntnis der Portugiesen über seine bescheidene Herkunft zu seinen Gunsten ausgenutzt hatte. Das allein hätte Amba nicht verwerflich gefunden; dass Rujul aber ihr, die einer für ihn unerreichbaren Kaste entstammte, jedes Mal frech die Hand küssen wollte, war ein Frevel, den sie nicht länger dulden konnte. Portugiesische Lebensweise hin oder her – wenigstens unter Indern hatte man ein Mindestmaß an Demut gegenüber höhergestellten Personen an den Tag zu legen. Doch dieser Wurm erlaubte es sich sogar, sie, nachdem sie ihm unwirsch ihre Hand entzogen hatte, mit anzüglichen Blicken von Kopf bis Fuß zu mustern – ganz ähnlich wie der Rüpel am Straßenrand, der in Begleitung des dicken Inders dort gestanden und sie angestarrt hatte, als wolle er sie mit seinen Blicken entkleiden.
    Es hatte sich um einen Neuankömmling gehandelt, das war unübersehbar gewesen. Anfangs trugen sie immer noch die modische europäische Kleidung, die für das tropische Klima absolut ungeeignet war. Sie liefen in Stulpenstiefeln herum, die zu warm waren, oder in Schnallenschuhen, die sich in der Monsunzeit auf den aufgeweichten Wegen mit Schlamm vollsogen. Sie trugen Hüte, deren Straußenfedern im Regen traurig nach unten hingen, und bestickte Samtwämser, unter denen sie erbärmlich schwitzten. Ihre Hosen, die meist Knielänge hatten, waren ebenfalls aus Samt oder aus Brokat, Stoffen also, die es der Haut unmöglich machten, zu atmen. Sie trugen ihr Haar meist schulterlang, doch ölten sie es nie, so dass es immerzu struppig aussah. Manche von ihnen trugen sogar Perücken, wozu dieser Kerl heute allerdings nicht gehörte. Sein Haupthaar war voll und schwarz gewesen, seine Haut jedoch einen Ton zu dunkel, um unter seinesgleichen noch als vornehm zu gelten. Auch das war ein untrügliches Anzeichen dafür, dass er gerade erst eingetroffen war. Auf den Schiffen setzten diese Männer ihre Haut zu lange der Sonne aus.
    Amba ließ ihren Schleier vom Kopf gleiten und auf die Schultern fallen. Sie hob ihren dicken schwarzen Zopf, der ihr über die Taille reichte, nach vorn und löste ihn. Den ganzen Tag schon hatte ein einzelnes Haar geziept, weil der Zopf zu straff geflochten war. Gedankenverloren ließ sie die Finger durch die Strähnen gleiten, die dick und seidig glänzend waren. Ein Jammer, dass sie ihr Haar nicht zeigen konnte.
    »Amba-beti, lass mich dich kämmen, das wird dir helfen, dich zu

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